Das Ende

Der Reclam Verlag Leipzig stellt den Betrieb ein

Wer in den vergangenen Jahren im Leipziger Reclam Verlag in der Inselstraße zu Besuch war, wurde schnell des gerahmten Buches an der Wand im Eingangsbereich des Verlages gewahr: das einmillionste Exemplar von Robert Schneiders Schlafes Bruder, dem größten Bucherfolg des Leipziger Traditionshauses in den Jahren nach der Wende. Einer dieser unwahrscheinlichen Bestseller, ein von einem namenlosen Autor unaufgefordert eingesandtes Manuskript, dessen Potenzial man erkannte und mit dem man das Wagnis einer Veröffentlichung einging. Es machte sich bezahlt.

Die Verlagswirtschaft gehorcht heute aber anderen Gesetzen, und so verkündete das Stuttgarter Mutterhaus in der vergangenen Woche, man werde die Leipziger Dependance im Frühjahr 2006 schließen. Seit der Wiedervereinigung schon firmierte der Reclam Verlag in Leipzig als „Zweigstelle“ des Philipp Reclam Verlags in Ditzingen bei Stuttgart. Dort wurde der Verlag in Familienhand nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt, während Reclam Leipzig als staatseigener Betrieb in der DDR den dortigen Literaturbetrieb mit preiswerten Büchern versorgte. Der Kostendruck, so Reclam-Geschäftsführer Frank Rainer Max, veranlasse das Mutterhaus, den Standort Leipzig aufzugeben. Dass altehrwürdige Verlage in diesen Zeiten ihren Betrieb einstellen, ist bedauerlich, aber nicht mehr außergewöhnlich. Für den Standort Leipzig aber wiegt die Entscheidung schwer, und sie strahlt auf die Verlagswirtschaft in ganz Deutschland ab, da Reclam, immerhin eines der ältesten Häuser im deutschsprachigen Raum, seine Wurzeln in Leipzig hat.

1828 wurde der Verlag in der sächsischen Metropole gegründet, von hier nahm die Erfolgsgeschichte der kleinen gelben Hefte ihren Ausgangspunkt. Dieser Historie besannen sich die Familie und die Stuttgarter Geschäftsführung, als man den ostdeutschen Sitz und Verlagsbetrieb 1990 übernahm. Zwar trimmte man den aufgeblähten Apparat auf Wirtschaftlichkeit, doch sollten die Damen und Herren von Reclam Leipzig mit einem eigenständigen Verlagsprofil weitermachen können. Es gelang nicht. Wechselnde Verlagsleitungen, die immer stärkere Abhängigkeit des stetig schrumpfenden Verlags vom Mutterkonzern und interne Machtkämpfe waren dem Profil des Leipziger Hauses auf Dauer nicht zuträglich. In den letzten fünf Jahren gelang es Reclam Leipzig mit Minimalbesetzung und unter Leitung der mehr als engagierten Maria Koettnitz, ein kleines, doch ambitioniertes Programm zu gestalten, das zwischen jungen deutschsprachigen Debütanten und internationalen Aufsteigern angesiedelt war. Gerade Autoren aus den Niederlanden, Schweden oder Griechenland fanden bei Reclam Leipzig ein Zuhause und damit Aufmerksamkeit bei der deutschen Leserschaft. Doch die kommerziellen Bucherfolge vom Range eines Robert Schneider blieben aus, und so wurde schon bei der 175-Jahr-Feier im Jahr 2003 spekuliert, man wolle das Jubiläum noch im Stammhaus noch „mitnehmen“, um sich danach in aller Stille vom Leipziger Anhängsel zu trennen, Tradition hin oder her.

Nun ist der Schritt erfolgt, in aller Stille und mit wenig Sentimentalität. Die Schließung von Reclam Leipzig generiert laut der Stuttgarter Zentrale Kosteneinsparungen im sechsstelligen Bereich, eine Buchreihe unter dem Namen „Reclam Leipzig“ soll von Stuttgart aus weitergeführt werden. Für Leipzig aber ist die Zeit gekommen, sich vom Anspruch einer „Buchstadt“ zu trennen. Nachdem der Kiepenheuer Verlag abgewandert und der Seemann Verlag notdürftig wiederbelebt wurde, wird mit Reclam der größte Name des hiesigen Literaturbetriebs abgewickelt. Was bleibt, sind einige kleine, junge Verlage mit anspruchsvollem Programm, die sich in naher Zukunft womöglich einen Namen über Leipzig hinaus machen werden. Bevor der Kostendruck zu hoch wird, hoffentlich.

Reclam schließt seine Tore

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