Musik wie aus einem anderen Jahrtausend

Elektropop-Band Saalschutz in der Ilses mit dem Lied „Saalschutz macht’s möglich”

Richtige DJs reden nicht über ihre Platten. Und gute Kritiker gehen daher besser zum Konzert? Okay hier bin ich. Es ist gerammelt voll, fast zu eng zum Tanzen. Doch das hält niemanden auf. Eben: „Jubel, Trubel, Diskokugel.“ Im Stroboskoplicht zittern die Körper. Da darf sich die Lichtmaschine der Ilse mal so richtig austoben. Auf der Bühne sind zwei DJs aus Zürich: Einer mit Schnauzer – man könnte auch sagen Pornobalken – der andere mit Piratenohrring. Sie nennen sich Saalschutz und machen Technopunk. Das klingt schlimm, ist aber höchst unterhaltsam und eigentlich ganz anders. Von der aktuellen Platte Saalschutz macht’s möglich ruft es „Ich will ein Kind von euch“ und auf Konzerten fotografieren sie ihr Publikum statt umgekehrt. Sie seien „zwei charmante Boys“ informiert mich die Bandbeschreibung. Da muss ich hin, dachte ich. Boys und Girls gab es schon lange nirgendwo mehr. Da lacht das Herz der Space Boy und Girlie-Generation. Dennoch als ich Freunden erzählte, dass ich abends in die Disco geh und das ein wunderbarer Tag wird, drehten sich ihre Augen um die Wette. Tja, da kann ich nur die Band herbeizitieren: Das ist nicht mein Problem.

„Ich bin entzückt von 19,9&90.“

Das Publikum kommt elitär daher. Gut wer kann sich um die Jahrtausendwende noch Leisten auf Technopartys zu gehen ohne als Proll von der ewigen „Jugend“ verlacht zu werden? Am Nachbartisch trinkt man Wein und redet Italienisch mit Versatzstücken aus Deutsch und Englisch. Gegenüber ein älteres Paar: Sie redet, er lächelt, dahinter ein jüngeres: Sie reden nichts, bis auf: „Ein Bier und ein Wein“. Daneben ein junger Mann mit Limo in der zitternden Hand, der unentwegt auf seine Auserwählte ein blubbert, während sie ihren Cappuccino anlächelt. Dann Aufregung. Die Band bewegt sich zur Bühne und die Zeitreise startet. Die Maschinen werden hochgefahren. Licht. Beat. Mikrofon. Es wird heiß. Ich ziehe meinen Pullover aus und stelle begeistert fest, dass ich ein altes grelles bauchfreies Top drunter habe. Tja, das nennt man wohl Unterbewusstsein. Und ich bin damit nicht allein. Der Punk vor mir dagegen bleibt seinem Basecap treu, was meiner Sicht kurzzeitig Abbruch tut. Doch er ist ein Diskotänzer vor dem Herrn und bei defending disco dancing war er schon am anderen Ende des Raums. Da das Publikum also gut vorlegt, ziehen die beiden Jungs von Saalschutz ihre Bühnenshow nach Leibeskräften durch und spielen die Jungs dann noch drei Zugaben. Es gilt immerhin Weihnachten zu verdrängen. „Weihnachten ist doch scheiße.“ und „Es ist viel zu warm“, so raunen die Stimmen aus dem Publikum. Besorgt hakt der Sänger nach, ob er die Raumtemperaturen runterfahren solle. „Nein!“ Also geht’s munter weiter mit dem Lied mit den Suggestivfragen á la „Liegt die Wahrheit in den Gehirnen oder in den Gestirnen“. Ganz und gar bescheiden und schüchtern ist die Attitüde der Gastgeber. Was man von Schweizern ja nicht unbedingt erwartet. Aber wie Saalschutz uns aufklärt liegen auch in Zürich die Geldscheine nicht mehr auf der Straße. Das kann ich bestätigen. Ich war letzten Winter in Genf, und außer eiskalten Nebelschwaden zwischen 80er Jahre Protzbauten und See lag auch dort nichts in den Gassen. Aber das ist kein Grund zur Traurigkeit, schreib dir einfach eine SMS d’amour. Eine Email in der steht, dass du schon in Ordnung bist, raten die Schützer der Neutralität.

„Mein Pop – Dein Pop. Pop ist für uns alle da!“

Neben Remixen, Sie erinnern sich lieber Leser, dass waren die zweiten und dritten Version eines Lieds auf einer Maxi-CD, sind Saalschutztexte mit Popzitaten gespickt wie ein Hackfleischigel mit Salzstangen. Am besten gehen, aber immer noch Selbstzitate. Platte eins beschwor „Ich will den ganzen Tag nur Saalschutz hören“, jetzt lautet die Parole „Saalschutz den ganzen Tag“. Sie sind die Scissor Sisters für Philosophen. Das ist keine Hookline.
Wir sind gescheitert an der Suche danach.
Das ist nicht die Metaebene.
Die ist eingestürzt als wir drauf getreten sind.
One two yeah yeah
Sha Sha Shake it Baby?(Juliette Kaiser, 1999, 16 Jahre)

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3. Leipziger „(Pop Up“-Messe


Saalschutz: Saalschutz macht’s möglich

15. Dezember 2006, Ilses Erika

www.saalschutz.com

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