Wer sich nicht wehrt, endet am Herd

Elf Frauen gehen ihren Weg: Thea Dorn stellt sie in „Die neue F-Klasse“ vor

Frauen in Deutschland haben das Recht auf ein eigenes Konto, verdienen aber deutlich weniger als Männer, sollen per Mutterschaft die Nation retten und nicht zuviel arbeiten; ganz zu schweigen von den unreflektierten Sexismen des Alltags: Frauen lieben Schuhe! Männer lieben Autos! Daß Frauen und Männer dasselbe können und Mutterschaft nicht mit Lebensinhalt gleichgesetzt werden kann, ist im Prinzip nichts Neues. Schlimm genug, dass es notwendig ist, immer wieder darauf hinzuweisen. Noch schlimmer ist, dass regelmäßig Leute an die Oberfläche gespült werden, die ihre phantasielosen Tagträume über eine Welt mit historischer Rollenverteilung öffentlich machen und dafür auch noch bezahlt werden. Am allerschlimmsten aber ist, dass diese weltfremden und kaum zukunftsweisenden Thesen nicht achselzuckend verlacht werden, sondern dass sie es schaffen, öffentliche Diskussionen anzuheizen. Immer noch geschieht es, dass junge Frauen ihre Berufswahl an Lebensentwürfe anpassen, die sie nicht selbst erdacht haben und die im wesentlichen vom Wunsch bestimmt sind, nicht dem Gatten im Weg zu stehen und die Kinder zu erziehen. Das Problem junger Frauen ist die Annahme, dass sie gleiche Chancen und Freiheiten hätten, da die großen Kämpfe längst ausgefochten sind. Dieses Missverständnis wird erst korrigiert, wenn sie an die gläserne Decke im Beruf stoßen und der Mann sie nach dem ersten Kind verlässt. Die Frage ist also, wie sich ein glückliches Leben führen lässt, in dem man eigene Ansprüche formuliert, ohne geschlechtsbasierte Rollen zu spielen.

Um darauf eine Antwort zu finden, versammelt Thea Dorn elf Frauen, geboren zwischen 1962 und 1977, in Einzelinterviews. Es ist die Generation der Thirty-and-Forty-Somethings, welche die Früchte der Frauenbewegung der Siebziger ernten konnte, oder, aufgewachsen in der DDR, berufstätige Frauen immer als selbstverständlich erlebte. Mit allen Interviewpartnerinnen wird unter anderem besprochen, wie diese hinsichtlich Geschlechterrollen in der Kindheit sozialisiert wurden und wodurch der Blick für Ungleichheiten geschärft wurde. Themen sind aber auch die Notwendigkeit, in privaten Beziehungen zu Männern einen ebenbürtigen Partner zu finden, und die (Neu)Definition des Begriffs des Feminismus. Mit der Berufsberaterin Uta Glaubitz werden vor allem Unterschiede zwischen Männern und Frauen thematisiert, zum Beispiel Unterschiede in der Motivation für Höchstleistungen: Während Männer die Welt neu erfinden wollen, sehnen sich Frauen nach Lob. Die Anwältin Seyran Ates betont die politische Seite des Kopftuches und zeigt Ähnlichkeiten auf zwischen dem türkisch-muslimischen Patriarchat und dem subtilen Patriarchat in Deutschland. Die Expertin für Kampfmittelbeseitigung Vera Bohle spricht über ihre Erfahrungen als Autoritätsperson für Männer, die Frauen als Autoritätspersonen nicht gewöhnt sind, und über die Schwierigkeit von Männern als Kollegin ernst genommen zu werden, die, selbstverständlich wohlwollend, der Meinung sind, dass gewisse Berufe nichts für Frauen seien. Die TV-Moderatorin Charlotte Roche empfiehlt Porno-Regisseure und beklagt die sexuelle Introvertiertheit von Frauen, die unter anderem dazu führt, dass ein „Mädelspuff“ pleite gehen muss. Nicht nur mit steilen Wänden, sondern auch mit Vorurteilen hat Ines Papert, Weltmeisterin im Eisklettern, zu kämpfen. Dies sind Vorurteile und Klischees gegenüber Frauen in einem eigentlichen Männersport, aber auch Vorurteile gegenüber Müttern im Extremsport. Dass die Frage der Gleichstellung in erster Linie eine Machtfrage ist, wird von der Gastronomin Sarah Wiener offen artikuliert. In dem Zusammenhang benennt sie die Unterschiede in der Beurteilung vom kochenden Geschlecht: Während der Frau die Rolle der Grundversorgerin zugedacht ist, schafft der Mann am Herd eine „Kulturleistung“. Frauen, die in dem Bewusstsein aufgewachsen sind, dass es keine Unterschiede in der Chancengleichheit von Männern und Frauen gibt, würden oft erst die Realität erkennen, wenn sie in der Falle aus Ehemann, Kind und Teilzeitarbeit gelandet sind, wie die Autorin Katja Kullmann beobachtet hat. Durch die hohe Repräsentation von Frauen in den Medien, zum Beispiel als Nachrichtensprecherinnen, wird leicht der Eindruck erweckt, dass genau diese Chancengleichheit besteht, aber gleichzeitig die tatsächliche Machtverteilung in der Gesellschaft verschleiert. Die Moderatorin Maybrit Illner weist vor diesem Hintergrund darauf hin, dass die meisten Posten von Chefredakteuren eben nicht von Frauen besetzt sind und es nur eine Intendantin bei der ARD gibt. Silvana Koch-Mehrin, Politikerin, hat die Erfahrung gemacht, dass die Art und Weise wie berufstätige Mütter in Deutschland beurteilt werden, im europäischen Kontext absolut singulär ist. Über den wiederkehrenden Sexismus in ihrem Alltag ist sie sich bewusst, hält es aber für wichtig, sich im politischen Geschäft dagegen zu immunisieren. Die Notwendigkeit zur Immunisierung betont auch die Ingenieurin Efstratia Zafeiriou, deren weitere Themen Frauen im Management und vor allem deren Abwesenheit vom Topmanagement sind. In führender Funktion befindet sich die Leiterin einer Forensischen Psychiatrie, Nahlah Saimeh. Mit ihr wird erörtert, warum schwere Straftaten überwiegend von Männern begangen werden. Man ahnt, dass die Gründe kaum in der friedlichen Natur der Frau zu finden sind, sondern die sozialen Geschlechterrollen unterschiedliche Arten der Aggression hervorbringen.

Nach einem einleitenden Kapitel, welches vor allem Details aus dem Leben der Autorin enthält, folgen die elf Interviews und schließlich ein Ausblick. Die persönlichen Auslassungen sind allerdings überflüssig und kontraproduktiv, da sie nicht zum besseren Verständnis beitragen, sondern das Anliegen des Buches verwässern. Ebenfalls im ersten Kapitel findet sich eine Erläuterung des Begriffs F-Klasse, der versucht, die überbesetzten Termini Feminismus und Karrierefrau zu vermeiden und eine Avantgarde von Klasse-Frauen, wie sie in dem Buch vorgestellt werden, beschreiben soll. Ein im gesamten Buch wiederkehrendes Motiv ist, dass Personen Eigenschaften aufgrund des Geschlechts angedichtet werden, zum Beispiel „weibliche Selbstzweifel“ und „männlicher Größenwahn“. Dies ist undifferenziert und birgt die Gefahr, als Biologismus missverstanden zu werden. Die Ankündigung des Untertitels Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird bleibt leider unerfüllt. Weder wird geklärt, wie die Zukunft von Frauen gemacht wird, noch erwähnt, was die Männer währenddessen tun. Die alten Säcke, welche in Feuilletons ihre vermeintlich schwindende Rolle beklagen, gehen bald in Rente – und die jungen Männer werden unterschätzt, wenn man annimmt, daß ihnen nichts besseres einfiele.

Wie also geht es weiter? Wie wird die Zukunft in Hinblick auf Geschlecht und Wahlmöglichkeit aussehen? Dorn schlägt vor, jenseits von Stereotypen und einer zugrunde gelegten Geschlechterdichotomie anzusetzen. Hier bleibt sie jedoch im Ungefähren. Was hat die Krankenschwester von der Empfehlung, die Eigenverantwortung für ihr Leben zu erkennen, wenn sie trotzdem deutlich weniger verdient als der gleichaltrige Pfleger mit gleicher Ausbildung und gleicher Arbeitszeit? Lassen sich strukturelle Ungleichheiten nur über die Erfolge, die Hartnäckigkeit oder die gute Bildung Einzelner abbauen? Es wird kaum ausreichen, dass einzelne Frauen unabhängig sind und ihr individuelles Lebensziel definieren können. Hier braucht es ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein, welches über Feuilletonisten-Wehklagen und Gebäraufrufe hinausreicht und mithin Geschlechterrollen neu denkt. Dazu könnte „Die neue F-Klasse“ ein Beitrag sein.

Thea Dorn: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird
Piper Verlag
München 2006
343 S. – 14,90 €
www.piper-verlag.de

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