Mittelmäßiger Scherzartikel

Das Comic-Album „Nemi“ kommt cool daher, ist aber nur Mainstream-Ware

Was die goldbetreßten Zerberusse an den Türen zwielichtiger Bars, das sind die Titel auf der Vorderseite der Bücher: die Kunden glotzen darauf, und schon eilen sie in den Laden, um den Büchern die Umschlagkleider zu öffnen, ihr Innerstes zu beschauen, ein paar Stichproben zu machen und sie gegen Bargeld abzuschleppen. Aber wie das so ist: oft fällt man auf Nepp herein, und ein schaler Nachgeschmack bleibt zurück.
Ulrich Erckenbrecht: Titeleien

Schwarze Klamotten, ebenfarbene Mähne und den Chaosstern auf dem knappen T-Shirt: Das ist Nemi. Ein selbst erklärtes Gothicgirl, das sich mit den alltäglichen Wirren herumschlägt, auf Alice Cooper schwört und hübsch düster blicken kann. Dazu hat sie auch gute Gründe, schließlich ist sie mit allem mehr als unzufrieden. Ein gleiches Gefühl wird allerdings jene Leserschaft beschleichen, die im Comic eine subkulturelle Narrative erwartet.

Die von der Norwegerin Lise Myhre entworfenen Bildgeschichten haben nach kommerziellen Erfolgen in vielen Ländern nun auch eine deutsche Fangemeinde erreicht. Das lässt staunen. Wie kann denn die Odyssee einer schwarzen Seele, von Weltschmerz und des Daseins Bedeutungslosigkeit geplagt, solch ein Publikumsliebling werden? Die Antwort ist nicht schwer: Indem das gängige Verwechslungsspiel bemüht und Stereotype in vermeintlich alternatives Gewand gehüllt werden. Altbekanntes soll im exotischen Setting zum Originellen gedeihen. Und so ist die Protagonistin Nemi als Namenslose – ein Niemand und damit Jedermann – zwischen düster gehaltenen Panelen unterwegs. Doch durchschifft sie im Gegensatz zu einem Captain Nemo wenig tiefe Gewässer und bewegt sich in gut bebaggerter Fahrrinne. Denn das teuflische Image ist lediglich Makulatur, welche die hinter diesem Comic liegende spießbürgerliche Vorstellungswelt verbergen soll. Die bespielten Topoi könnten aus Sex in the City stammen. Sie handeln von der morgendlichen Frisur, der viel bemühten Geschlechterdifferenz, überflüssigem Gewicht, dem Schwips auf einer Party und Herrn Banderas als idealem Bettgenossen. Rein gar nichts findet sich infragegestellt und einmal mehr wird proklamiert, dass sich im Grunde alles immer um die Männer dreht, selbst wenn diese fremde, unzugängliche Wesen zu sein scheinen. Hier liegt nur ein als subkultureller Comic getarnter Wiedergänger der oberflächlichen Alltagskultur vor. Nemi ist ein Allerweltsgirlie, mit trendigem Magie- und Tanathosfimmel ausgestattet. Vom aufgetuschten Fremden entkleidet bleibt eine junge Frau übrig, die genau jene Problemchen teilt, die alle Teenager peinigen. Darüber hinaus entwickelt sich der Charakter der Protagonistin in der Abfolge der Episödchen in keiner Weise und es fehlt am ob der Gestaltung zu vermutenden fröhlich-misanthropischem Element. Es witzelt in beliebigem Parcour und zwingt, die Lektüre immer wieder zu unterbrechen, um etwas anderes zu tun, zeugen doch die Strips von einem gewöhnlichen Humor und haben zuweilen die Sprengkraft der „Liebe ist…“-Bildchen.

Was hier als cooles Szeneprodukt daherkommen soll, ist ein gut verpackter Scherzartikel und wird den Geschmack einer Mogelpackung nicht recht los. An diesem Urteil vermag auch die sehr ansprechende Grafik nichts zu ändern. Nemi ist ein Mainstreamwerk, dem das Spiel mit der Underground-Exotik nicht gelingt und vor allem die Verve fehlt. Im Lager der Funnies residierend – also hübsch, nett und vor allem harmlos – ist das misslungene Surrogat eines existenziellen Andersseins nichts anderes, als die Übersetzung der Fröhlichs, Nicks und Heidenreichs ins Comicformat.

Lise Myhre: Nemi, Bd. I
UBooks-Verlag
Diedorf 2006
143 S. – 19,95 €
www.ubooks.de

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