Gelehrtes Gespräch über den Namensgeber

Heiner Lück zu Gast im Thomasius-Club

…Hierinnen aber werden wir nicht irren, wenn wir behaupten, daß obgleich an diesem großen Manne einige Fehler und Irrthümer zu finden gewesen; er doch billig unter diejenigen Philosophischen Reformatores zu rechnen sey, welche zu Verbeßrung der Philosophischen Wissenschaften ein grosses beygetragen haben…
Johann Heinrich Zedlers Universallexikon


Der Thomasius-Club geht in die zweite Runde. Nach der Sommerpause lädt er in seiner Veranstaltungsreihe erneut dazu ein, Freymüthige, lustige und ernsthaffte, jedoch vernunfft- und gesetzmäßige Gedancken über wissenschaftliche Bücher auszutauschen. Zum Auftakt wendet sich der Club seinem Namensgeber zu, dessen Journaltitel er sich als Motto gegeben hat: dem Frühaufklärer Christian Thomasius (1655-1728). Ab 1688 herausgegeben, war dies die erste Zeitschrift, die wissenschaftliche Themen in deutscher Sprache referierte. Und diesem Ansinnen steht der Thomasius-Club in Nichts nach, weil manchmal selbst deutsche Wissenschaftstexte erst in eine allgemeinverständliche Zunge übersetzt werden müssen.

Aufgrund terminlicher Überschneidungen fand man sich ausnahmsweise nicht im Horns Erben, sondern in der Neuen Szene zusammen, um einmal mehr das gelehrte Monatsgespräch zu suchen. Zu Gast war dieses Mal der Rechtshistoriker Heiner Lück, Professor für Bürgerliches Recht, Europäische und Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Halle. Er hatte einen Aufsatzband mitgebracht, den er als Herausgeber betreute und der Christian Thomasius als einen Wegbereiter moderner Rechtskultur und Juristenausbildung zum Thema hat. Entstanden ist das Buch aus einem rechtwissenschaftlichen Symposium heraus, das – welch Wunder – anlässlich eines Thomasiusgeburtstages an der Hallenser Hochschule im Jahr 2005 stattfand. Nachdem der Gelehrte in der Vergangenheit besonders als Philosoph, Literat und Streiter für die deutsche Sprache im Wissenschaftsbetrieb beachtet worden ist, gerät er nun als Jurist in den Blick. Allerdings weniger hinsichtlich seiner Biografie, denn die AutorInnen verfolgen viel mehr den Einfluss seiner Ideen, von denen einige weit reichen. So fragen die einzelnen Beiträge nach verschiedenen Aspekten von Thomasius‘ juristischer Tätigkeit, stellen ihn beispielsweise in den Zusammenhang mit der Völkerrechtsentwicklung, untersuchen sein Wirken auf die Reform der juristische Lehre und erörtern die Aktualität seiner Notstandslehre.

Der Herausgeber Lück nun stand zum Gespräch im Thomasius-Club bereit. Dunkle Vorahnungen von einem trockenen Vortrag zum grauen Thema bestätigten sich glücklicherweise nicht. Es wurde ein unterhaltsamer wie aufschlussreicher Abend mit einem engagierten Gast, dessen Redefluss die Moderierenden, die Germanistin Claudia Albert und der Philosoph Ulrich Johannes Schneider, kaum bremsen konnten. Ihre manchmal vielleicht zu braven Fragen nahm dieser sympathisch-bodenständige Mann immer wieder zum Anlass, ein glühendes Plädoyer für die Rechtsgeschichte zu halten, die an vielen Jurafakultäten eine eher randständige Position besitzt. Und dies völlig zu Unrecht, denn man könne vieles aus ihr erfahren, wie das Beispiel Christian Thomasius zeige. Dieser habe angesichts mehr oder weniger willkürlich gesetzten Rechts naturrechtliche Überlegungen favorisiert und stets der Vernunft als Begründungsinstanz die Lanze gebrochen. Damit hätte er etwas sehr Wichtiges erkannt: Allgemein formulierte Rechtsvorschriften müssen immer auf konkrete Situation angewendet werden. Das sei bis heute so, gerade bei einem Bürgerlichen Gesetzbuch, das in großen Teilen vor über hundert Jahren verfasst worden ist. Nun informiere insbesondere die Rechtshistorie darüber, wie Gesetze sich an den gesellschaftlichen Realitäten zu messen hätten und als in der Vergangenheit beschlossene Rechtsakte immer schon den potentiellen Reformbedarf in sich trügen. Solches Wissen sei unverzichtbar, war sich Lück gewiss, und aus der Ausbildung künftiger JuristInnen gar nicht wegzudenken. Schließlich hätten es diese zur späteren Aufgabe, Recht zu sprechen und Gesetzestexte vernünftig auszulegen. Christian Thomasius hätte sicherlich nicht widersprochen.

Die lehrreiche Veranstaltung bildet einen gelungenen Auftakt für die weiteren Treffen im Thomasius-Club. So werden in den kommenden Monaten zum Beispiel Ulrich Bröckling Das unternehmerische Selbst betrachten, Frank Zöllner das Gesamtwerk des Michelangelo in den Blick nehmen und Christoph Türcke den Begriff der Heimat rehabilitieren. Für neuerliche angeregte Disputationen wird das allemal genug Stoff bieten.

Heiner Lück zu Gast im Thomasius Club

Ein Gespräch über das Buch „Christian Thomasius (1655-1728) – Wegbereiter moderner Rechtskultur und Juristenausbildung“ (Georg Olms Verlag – Hildesheim 2006, 426 S. – 78 €)
Moderation: Claudia Albert & Ulrich Johannes Schneider

19. September 2007, Horns Erben

www.thomasius-club.de

Mehr zum Thomasius-Club:

18.10.2007: Analysierendes Unbehagen im Thomasius-Club: Ulrich Bröckling über „Das unternehmerische Selbst“
20.09.2007: Gelehrtes Gespräch über den Namensgeber: Heiner Lück zu Gast im Thomasius-Club
12.07.2007: Philosophisches Selbstversichern: Pirmin Stekeler-Weithofer im Thomasius-Club
21.01.2007: Fröhliche Wissenschaft: Elmar Schenkel zu Gast im Thomasius-Club

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