Tristesse oblige

„Der Spinner von Leipzig” macht Lindenau zum Tatort

Lindenau ist ein moosgrüner Haufen Kotze
Kurz neben dem Herzen der Stadt…
Volly Tanner: Lindenau überollen

Industriebrachen, Sternburgscherben, Galerierundgang. Das sind die Koordinaten, in denen sich der Krimi Der Spinner von Leipzig literarisch bewegt. In Leipzig-Lindenau eben, jenem Stadtteil, der für jede Schandtat bereit steht.

Von gewalttätigen Konflikten in Lindenau hat die polizeiliche Pressestelle gewiss vielerlei zu berichten. Die Autorinnen Mitra Devi und Bea Huwiler entwerfen folgende Fiktion. Die Schweizer Malerin Lara kommt in den zweifelhaften Genuss, im Rahmen eines künstlerischen Austauschs einige Monate in Lindenau zu verbringen. Immerhin steht der jungen Frau im Isotop Baumwollspinnerei ein Atelier zur Verfügung, in dem sich die allgegenwärtige Tristesse mit grellen Ölfarben aufhellen lässt. Und wäre sie nicht mit dem befreundeten Ralph auf einen Kunstraub aufmerksam geworden, hätte dies eine ganz vergnügliche Zeit werden können in und trotz Lindenau. Doch statt sich mit dem attraktiven Künstler im Park amüsieren zu können, stolpert Lara über Ralphs Leiche am Kanal. Polizeiliche wie private Ermittlungen beginnen. In deren Verlauf tritt immer wieder ein mystischer Stadtschleicher, jener im Titel erwähnte „Spinner“, in Erscheinung. Die geheimnisvolle, im Hintergrund bleibende Person ist im entscheidenden Moment zum Eingreifen bereit und gibt der Geschichte die nötige Wendung.

Der Spinner von Leipzig ist ein Auftragswerk und das merkt man ihm streckenweise an. Vom Stadtteilverein Leipzig-Lindenau eingeladen, weilten die Autorinnen als Artists in Residence ein halbes Jahr im Leipziger Westen, um die photographisch illustrierte Kriminalgeschichte ins Werk zu setzen. Diese konfrontiert zunächst mit einem sperrigen Einstieg, der sich wie der komprimierte Auszug aus einem Stadtführer liest. Selbst die Größenangaben diverser Gebäude bleiben den LeserInnen nicht erspart. Etwas überzogen wie überstrapaziert ist auch jener Vergleich zwischen der Leipziger Innenstadt und Paris, selbst wenn ein gewisser, betrunkener Frosch derartiges in Goethes Schulpflichtlektüre auch einmal tat. Das lässt sich wohl nicht vermeiden bei solch einem protegierten Projekt. Zum Glück verfliegt nach den ersten Seiten das Angestrengte und macht der spannend-unterhaltsamen Lektüre Platz. In der kurzweiligen Geschichte tauchen russische Kulturgutverschieber, schrille Kunstschaffende und viele Szeneorte auf, an denen die LeserInnen die ein oder andere prominente Person antreffen. Hübsch eingebettet in die boomende Baumwollspinnereibetriebsamkeit, die dem tristen Stadtteil den Hauch von Boheme verleihen soll, wird auch hier dem mittlerweile internationalen Monument „Leipziger Schule“ der Ehrenkranz vor die Füße gelegt. Im narrativen Gang relativiert sich schließlich der Zugriff über die Spinnerei als hochkulturelle Rechtfertigung für die urbane Peripherie. Denn auch Lindenaus andere, allgegenwärtige Seite gerät in den Blick: Aus dem Küchenfenster ihrer Zwischenmiete-Wohnung zum Beispiel erfährt Lara das tägliche Elend am Lindenauer Markt. Viel lokales Kolorit ist in den Roman hineingeschrieben worden, und das heißt vor allem: grau. Diese Atmosphäre wird auch in den Photostrecken wiedergegeben. Und so zeichnet das Buch ein wirklichkeitsnahes Bild Lindenaus – nur der real-existierende Nazi fehlt -, dieses überwiegend hässlichen Quartiers, das dennoch seine kleinen Nischen hat.

Leider nervt das schludrige Lektorat: Bereits im Vorwort steckt ein Grammatikfehler, der nicht der einzige faux pas bleibt. Dennoch ist ein solider Kurzkrimi entstanden, der sich flott und in einem Stück weg lesen lässt. Natürlich merkt man dem Werk die Aufgabenstellung an. Stellenweise häufen sich unnütze Nennungen von Straßen und Orten, ganz so, als müsse man sich mit einem Stadtplan bewaffnet ins kriminalistische Leseabenteuer stürzen. Das zerstört die Geschichte nicht, gibt dem Buch aber einen Souvenircharakter. Kurzum: Der Spinner von Leipzig ist ein hübsches Büchlein über einen weniger hübschen Stadtteil.

Mitra Devi & Bea Huwiler: Der Spinner von Leipzig. Ein illustrierter Krimi
Edition PaperOne
Leipzig 2007
142 S. – 16 €
www.teamofdestruction.de

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