Jenseits der kulturellen Vorherrschaft

„:IKONEN: Zeitschrift für Kunst, Kultur und Lebensart“ ist grenzüberschreitend

Das Cover wirkt düster: Tiefes Schwarz herrscht vor, darauf findet sich der verhallte Schriftzug „:Ikonen:“. Dornen gibt es auch und dennoch sollte man/frau sich nicht abschrecken lassen, denn zweimal im Jahr beglückt :Ikonen: – Zeitschrift für Kunst, Kultur und Lebensart ihre LeserInnen mit theoretisch reflektiertem Kulturjournalismus aus den Randbereichen und Extremen derselben. Wo sonst findet man auf 66 eng bedruckten Seiten Essays zu – und wir werden hier nur einige nennen – den Wiener Aktivisten, koreanischem Schamanismus, den Filmen von Lydia Lunch, Fernando Arrabal, Mark Foster oder Donald Cammel?

Die Jubiläumsausgabe des von Marcus Stiglegger herausgegebenen „Kulturmagazins“ stellt eine Art Leistungsschau des „anderen“ Kulturjournalismus, Cultural-Studies geprägt und ohne Angst vor der Populärkultur dar. Dabei zeigt sich eine gewisse Sensitivität für das Sonderbare und Abseitige jenseits des ästhetischen Mainstreams sowie eine deutliche Gewichtung der Pole Film und Musik.

Die bereits erwähnte, weit von Beliebigkeit entfernte Vielfalt von :Ikonen: macht es unmöglich auf jeden der einzelnen Ansätze im Detail einzugehen. Nicht stellvertretend, jedoch das Feld der Auseinandersetzung umreißend, in welchem sich die Zeitschrift positioniert, will ich zwei Artikel der aktuellen Ausgabe genauer betrachten.

1. „Blutbilder – Der Wiener Aktionismus zwischen Subversion und Metaphysik“ von Markus Brunner stellt eine kritische Re-Lektüre der Arbeiten von Schwarzkogler, Mühl, Brus und Mühl dar. Kundig verfolgt der Autor die Abkehr seiner „Protagonisten“ von der Malerei und ihrer Logik der Abbildung, welche zu einer performativen Kritik der Bildlichkeit werden sollte. Deren Umschlag zurück ins Symbolische, das Umkippen der Revolte gegen das Imaginäre, zurück in einen neuen Essentialismus von Leben, Trieb und Gesamtkunstwerk versteht der Autor plausibel zu entfalten. In diesem Sinne bringt Brunner dann auch Brus und Schwarzkoglers Arbeiten, welche ihre eigene Medialität – so der Autor – stets problematisierten, gegen Nitsches Re-Ritualisierung und Mühls „Sozialprojekt“ in Stellung. All das liest sich ebenso pointiert wie durchdacht und stellt im Kulturmagazindschungel eine erfreuliche Überraschung in Sachen Anspruch und Form dar. Freilich, größer wäre die Freude, würde der Autor sich nicht von Zeit zu Zeit in metasprachlicher Begriffsüberlegenheit verlieren. Da heißt es dann beispielsweise: „Denn die hinter der Fassade vermutete Wirklichkeit, sei es nun die äußere oder die innere, psychische Realität, die es zu erreichen galt und die auch als erreicht proklamiert wurde, ist selbst eine ideologische Konstruktion.“ Das mag richtig sein, klingt jedoch arg nach konstruktivistischem Jargon beziehungsweise pastoraler Besserwisserei, kontextlos und immer anwendbar – „sans écriture“.

2. Julia Reifenbergers „Transgression durch Subversion – Die New Yorker Künstlerin Lydia Lunch“ untersucht die Filmsprache der Undergroundwerke Fingered und The right side of my brain. Es handelt sich um teils grobkörnige Arbeiten, welche heute wohl zumeist leider noch immer jenen Status innehaben, der sie zu Zeiten ihrer Entstehung kennzeichnete: unbekannt und irgendwie abseitig. Lunchs Arbeiten zeichnen sich oftmals durch eine quälende Arbeit am Symbolischen, an männlicher Gewalt und am Missbrauch des Weiblichen ab. Gewalt und Sexualität, Opfer und Täterschaft, Destruktion und Apokalypse sind immer wiederkehrende zentrale Momente ihrer Arbeit. Reifenberg geht nun recht detailliert der filmischen Konstruktion, ihren Wegen und Irrwegen unter dem Aspekt der Überschreitung nach – um letztlich, der Titel impliziert dies bereits, die transgressive, also überschreitende Charakteristik der Filme, weniger im direkten Inhalt (Missbrauch, pornographische Elemente, etc.) als vielmehr in der Subversion männlich dominierter Codes zu erblicken. Am Ende bleiben Fragen bezüglich der Lesbarkeit, Rezeption dieser subtilen Umschriften des Sinns bestehen.

Desweiteren bietet Ausgabe Nr. 10 wie bereits erwähnt einen empfehlenswerten, großen Essay zu Fernando Arrabals absurdem Kino, einen leicht, vielleicht ungewollt, exotistisch anmutenden Text/Bild-Teil zum koreanischen Schamanismus, eine seltsam unaufgeregte Vorstellung der grandiosen Band Woven Hand, Essays zur Reunion von The Stooges, den fotographischen Arbeiten Birthe Klementowskis und, und, und. Abgerundet wird das Programm schließlich durch die Vorstellung ausgewählter Bild und Tonträger, unter denen Jean Genets Un chant d’amour zu finden ist.

Zugegebenermaßen changieren manche der Texte von Zeit zu Zeit zwischen Hauptstudiums- und Doktorandenjargon sowie poststrukturalistischer Metasprache, doch dies ist kein zu hoher Preis angesichts dessen, was in Stigleggers :Ikonen: geleistet wird: Arbeit an Kulturformen und Kulturpraxen, welche jenseits der kulturellen Vorherrschaft mehr als organisierte Langeweile zu bieten haben. Abseits manchen journalistischen Trampelpfades lädt :IKONEN: in den besten Momenten vor allem zum Entdecken und zur begrifflichen Reflexion, zur kritisch-lustvollen Befragung des Bekannten und Unbekannten ein. Dass hierbei dem Feld des Intermedialen das Hauptaugenmerk gewidmet wird, macht dieses kleine Magazin zu einer Intervention, welche, in Erinnerung an Julia Reifenbergers Artikel, bis auf weiteres wohl als transgressiv zu bezeichnen ist.

:IKONEN: Zeitschrift für Kunst, Kultur und Lebensart (Nr.10)
Herausgegeben von Marcus Stiglegger
:Ikonen: media
Mainz 2007
5,50 €
www.ikonenmagazin.de

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