Klavierbegleitung mit peinlichem Fehler

Franz Schuberts Winterreise wird von Christoph Genz und Michael Schönheit im Gewandhaus präsentiert

Die Winterreise ist weltbekannt, wird öfter als jeder andere Liederzyklus aufgeführt und liegt in unzähligen hervorragenden Einspielungen vor. Wer mit diesen 24 Liedern vor ein Konzertpublikum tritt, muss sich daher zweifellos fragen lassen, was er den bisherigen Deutungen an eigenen Ideen hinzuzufügen hat und worin letztlich das Individuelle seiner Interpretation liegt. Christoph Genz‘ Sichtweise wirkt zunächst eher traditionell: Extreme bleiben weitgehend ausgespart, radikale Brüche mit Hörgewohnheiten finden nicht statt. Erst bei genauerem Hinhören wird spürbar, mit welchem künstlerischen Einfühlungsvermögen sich Genz den abgründigen Liedern nähert, wie treffsicher er die Stimmung der Lieder bis ins Detail nachzeichnet. Man hätte sich vielleicht in manchen Liedern etwas weniger Zurückhaltung gewünscht, mehr Wut im „Stürmischen Morgen“, mehr Trotz in… doch alles in allem gelingt Genz eine ausgewogene, ganz auf stille Traurigkeit zielende Deutung von berührender Innerlichkeit.

Gewandhausorganist Michael Schönheit erweist sich in den ersten Liedern als solider Begleiter, der dem wichtigen Klavierpart jedoch leider kaum eigenes Profil verleiht. Viel schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass er das letzte Lied der ersten Abteilung einfach überspringt, ohne es zu merken. Man möchte meinen, dass ein Künstler, der sich mit einem Liederzyklus intensiv beschäftigt, weiß, mit welchem Lied dessen erster Teil endet und mit welchem dessen zweiter beginnt. Nach dem Hinweis des Sängers, dass man noch einmal bei dem ausgelassenen Lied 12 einsetzen und Lied 13 dann als „vorgezogene Zugabe“ wiederholen werde, springt Schönheit von der 12 gleich in die 14, was Genz sichtlich irritiert und völlig zu Recht ärgert. Dieser gleich doppelte Fehler Schönheits zeigt nicht nur eine unzureichende Kenntnis der Winterreise, sondern hat auch dramatische Folgen für die weitere Aufführung. Der Zusammenhang des Zyklus ist zerrissen, jegliche Dramaturgie dahin, Genz verpatzt seinen Spitzenton in „Die Krähe“ – ein deutliches Zeichen für gestörte Konzentration und Spannung. Erst einige Lieder später sind die Folgen des peinlichen Fehlers überwunden.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Schönheit bis zum nächsten Konzert mit Schuberts Schwanengesang genügend Zeit für die Erarbeitung nimmt. Auch darf man gespannt sein, wie Genz die großen Kontraste zwischen „Abschied“ und „Atlas“, zwischen „Doppelgänger“ und „Taubenpost“ sängerisch ausgestalten wird.

Franz Schubert: Winterreise D 811

Tenor: Christoph Genz
Hammerflügel: Michael Schönheit

27. Januar 2008,Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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