Zurück zum Expressionismus

Pro Schönbergs „Moderne Menschen”

Streng an der eigenen Form orientierte musikalisch-szenische Rätselbilder hat Arnold Schönberg in Sprache und Musik den Hörern der Trilogie Moderne Menschen mit auf den Weg gegeben. Und so mag die Frage des Kindes am Ende der ersten konsequent in Zwölftontechnik gesetzten Oper Schönbergs Von heute auf morgen – „Was sind das, moderne Menschen?“ – begriffen werden wie die berühmte Metapher in Christi Gespräch mit Nikodemus, wo vom Wind die Rede ist, dessen Sausen jeder hört, aber von dem niemand weiß, woher er kommt und wohin er geht. Solch ein seltsames Sausen des Windes, dessen Ursprung und Ziel merkwürdig fern und unbestimmt bleiben, wird gleichsam in diesen drei Schönbergschen Einaktern in der Form expressionistischer Dramatik hörbar.

Von heute auf morgen
Diese letzte Oper der Trilogie Moderne Menschen wurde in der Leipziger Inszenierung an den Anfang gestellt. Die ziemlich scharfe sozialpsychologische Ehesatire, 1928 und 1929 nach einem Text von Schönbergs Ehefrau Gertrud entstanden, kann als eine Art weltliche Apokalypse des Wahns nach so genannter „Selbstverwirklichung“ und nach dem grenzenlosen Ausleben von Begehrenswünschen verstanden werden. Die Oper erzählt ein Gleichnis darüber, wohin es führt, wenn die Liebesfähigkeit des Menschen allein hedonistischen Ansprüchen unterworfen wird und das Begehren bedingungslos dem Blendwerk des schönen Scheins folgt. Musikalisch ist Von heute auf morgen die fortschrittlichste und modernste der Trilogie und gehört deshalb durchaus an den Beginn.

Die Leipziger Inszenierung von Immo Karaman und Fabian Posca – dem Publikum durch The Turn of Screw noch in guter Erinnerung – ist ein fulminanter Auftakt und szenischer Höhepunkt des Abends. Mit spielerischer Leichtigkeit zeigen die beiden Regisseure die ernste Parabel, die veranschaulicht, wie die Protagonisten allesamt Irrlichtern nachjagen. Mit viel Scharfsinn, Humor und Originalität führen die beiden mit dem aktionsreichen Bühnenbild von Kaspar Zimpfer den grotesken Ehealltag von Die Frau, Der Mann, Das Kind vor Augen, indem sie die bürgerlichen Alltags-Accessoires wie auf einem Fließband ständig vor den Augen der Zuschauer vorüber laufen lassen: Waschmaschine, Küchentisch, Fernseher, Hydropflanze rollen in Endlosschleife vorbei. Hinzu kommt das Bild des reinigenden, verwandelnden Bades in der emaillierten Wanne als Symbol des äußeren Sinneswandels und der „Modernisierung“ der Hausfrau zu einer Femme fatale der Weimarer Republik. Dass in dieser Ehe so einiges schief läuft, versinnbildlicht die schiefe Ebene, an der Türen vorbeirollen und Deckenlampen vorüberrasen, in skurriler Weise.

Doch vor allem lebt diese außergewöhnlich gelungene Interpretation von der stimmlich ebenso wie darstellerisch brillanten Hendrikje Wangemann als Die Frau und von Wolfgang Newerla als Der Mann. Wangemann erfasst die Dramatik der Rolle zwischen der halb gespielten, halb ernst gemeinten Sehnsucht nach dem Abenteuer mit dem modernen, einfältig-hohlen und nur auf sich bezogenen Opernsänger (Tenor) und dem drögen kleinbürgerlichen Ehealltag, der sie zu zermürben droht, mit außerordentlicher szenischer Präsenz und stimmlicher Authentizität. Die schwierige Partie interpretiert sie mit staunenswerter Überzeugungskraft. Die Regisseure zeigen in einer geschickt konstruierten Metaebene das Fließen der Zeit in Bewegungen von Haushaltsgegenständen, sodass eine Zeitebenenverschmelzung und Zeitrafferstruktur entsteht. Drastisch führen sie vor Augen, wie der vernachlässigte Störfaktor Das Kind, das von Szene zu Szene erwachsener wird, das Zerrüttete der Ehe und der nur mit sich selbst beschäftigten Eheleute dokumentiert. Die scheinbare Idylle der glücklichen Biedermeier am Ende des dritten Bildes lösen die Regisseure drastisch auf, indem sie die Familie buchstäblich auf den Trümmerhaufen ihres kleinbürgerlichen Gerümpels setzen.
Die glückliche Hand
Dieser zweite Einakter der Trilogie ist ein schönes Beispiel dafür, dass der Expressionismus lange vor der kollektiven Katastrophe des Ersten Weltkriegs bereits vollendet war und schon da ein Grundgefühl für eine Zeit entwickelt hatte, die erst mit diesem Ereignis düstere Realität werden sollte. Ein Mann, der Einer Frau nachsteigt, die ihm Ein Herr abspenstig macht, ist das bedauernswerte Geschöpf dieser Oper. Hier wird der Chor (einstudiert von Stefan Bilz) überdies wie in der antiken Tragödie eingesetzt, als ein das Geschehen kommentierender Handlungsträger, der Den Mann bedauert und seine Einsamkeit reflektiert. Ein Mann, die einzige Singstimme, solide und mit Akkuratesse gesungen von Matteo de Monti, fällt als Astronaut vom Himmel und schwebt im Raum, wie überhaupt diese Inszenierung mit dem Zustand der Schwerelosigkeit operiert.

Dem Regieteam um Carlos Wagner und Daphne Kitschen (Bühne, Kostüm) gelingt es jedoch nur zum Teil, die stark an den Expressionismus angelehnte synästhetische Symbolsprache, die mit Farben spielt, in eine verständliche gegenwartsbezogene Form zu übertragen. Die Farbsprache des Originals wurde auf Schwarz-Weiß-Symbolik reduziert und damit zugleich Alles und Nichts gesagt. Das in dieses Nichts hineingestellte Fußballfeld verweist eher auf die vermeintlich unterbewussten Sehnsüchte des Regisseurs, als dass diese Symbole Zusammenhänge zur Vorlage Schönbergs herstellen. So originell die Bilder des Fußballfeldes und der großen schwarzen und weißen Flächen wirken, so schön das Bild von den schwebenden Fußbällen als Luftballons ist – es desavouiert sich selbst, indem die Bälle unbeabsichtigt ins Publikum schweben und so für unfreiwillige Komik im Saal sorgen.Erwartung
Musikalischer Höhepunkt der Trilogie war der atemberaubende solistische Auftritt der international gefeierten Wagner-Diva Deborah Polaski in der berückenden Rolle von Die Frau in Erwartung – ein Sternstunde der Saison, die unbedingt nach Fortsetzung verlangt. Die Frau begreift in diesem Katharsis erregenden Gefühlskatarakt die Unerbittlichkeit dessen, was es heißt, dass ihr Geliebter ermordet wurde. Dies bedeutet die konzentrierte Konfrontation mit unerträglichen Zuständen, die auch heute noch meistenteils in die psychiatrischen Anstalten verbannt werden oder im Stillen als ruheloses Leiden in der Nacht ausgetragen werden. Das Zurückgeworfensein, das der Tod den Lebenden als unstillbaren Schmerz aufbürdet, wird in drastischer Weise in Musik und Text gezeigt. Wobei hier die Vorstellung besonders reizvoll erscheint, anzunehmen, dass die Frau den Mann, dessen Tod sie beklagt, selbst aus dem Leben geschafft hat. Erinnerung wird verlebendigte Musik, Musik wird dadurch zum quälenden Ausdruck eruptiver Gefühlsausbrüche von der Frau, zu Expressionen von Schuld und Verstrickung – am Ende steht nur noch die Sehnsucht nach Stille.

Sandra Leupold (Regie) und Tom Musch (Bühne, Kostüm) haben die Szene in einen neonlichtbeleuchteten Büroraum verlegt und arbeiten wie so oft mit einer Kamera und Bildprojektionen, die Polaski als Die Frau nutzt, um ihr buchstäblich unter die Haut gehendes Innenleben auf Großbildleinwand bildlich darzustellen, das akustisch durch Schönbergs Musik repräsentiert wird. So entsteht eine sehr seltsame Atmosphäre, die sich teils aus Voyeurismus, teils aus Studieninteresse, teils aus Betroffenheit, teils aus Bedauern zusammensetzt. Polaski arbeitet die halsbrecherisch schwierige Partie mit einem Mut und einer Souveränität durch, die einem schlicht den Atem raubt – ein großer Moment. Dies wurde vor allem auch durch Axel Kober erreicht, der mit seinem vorzüglichen Dirigat das Gewandhausorchester sicher, schwungvoll, exakt und der Musik bewusst durch den Abend führte.

Die Oper hält zum Schönberg-Jahr noch viele Extras zu diesen drei Inszenierungen bereit, zum Beispiel eine Lesung mit Hermann Beil am 13. April, einen wissenschaftlichen Schönberg-Vortragstag inklusive Aufführungsbesuch am 20. April sowie eine Schönberg-Ausstellung in den Foyers. Und schon jetzt steht fest, dass der neue Genius loci des Hauses, der die regietechnische Handschrift der Oper in den nächsten sechs Jahren federführend mitbestimmen soll, Peter Konwitschny, bereits am 20. September diesen Jahres Schönbergs Pierrot lunaire inszenieren wird. Man darf gespannt sein.

Moderne Menschen – Eine Schönberg-Trilogie

Musikalische Leitung Axel Kober
GewandhausorchesterVon heute auf morgen
Inszenierung: Immo Karaman
Mit: Wolfgang Newerla, Hendrikje Wangemann, Timothy Fallon, Susanna Andersson Die glückliche Hand
Inszenierung: Carlos Wagner
Mit: Mitglieder des Chores der Oper Leipzig & Matteo de Monti Erwartung
Inszenierung: Sandra Leupold
Mit: Deborah Polaski

Premiere 5. April 2008, Oper Leipzig, Opernhaus

Kontra Schönbergs „Moderne Menschen“: Der Ball muss ins Tor! (Steffen Kühn)

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