Der Ball muss ins Tor!

Kontra Schönbergs „Moderne Menschen”

Es ist immer eine schwierige Sache mit den Operneinaktern. Für sich gestellt ergeben sie kein abendfüllendes Programm, eine Kombination mit weiteren Stücken muss dramaturgisch und musikalisch gut überlegt sein. Mit ihrer Schönberg-Trilogie ist die Oper Leipzig musikalisch kein Risiko eingegangen, alle drei Einakter hat Schönberg in einer expressionistischen Phase geschaffen, die sich ganz bewusst und (sehr) didaktisch gegen die in der Weimarer Republik herrschende Libertinage eines Kurt Weill oder Ernst Krenek wandte. Dramaturgisch dagegen hat man einen ambivalenten Weg eingeschlagen. Drei Regieteams wurden verpflichtet, offensichtlich stand nicht die Idee der gemeinsamen Linie im Interesse, sondern der Ansatz ganz bewusst verschiedener Handschriften.Von heute auf morgen (1929) wurde in die Hand von Immo Karaman gegeben. Er hat das Stück als lustige Revue inszeniert. Der ach so langweilige Alltag einer Ehe wird uns am laufenden Band präsentiert. Was hätte Rudi Carrell wohl zur Adaption seiner Fernsehshow fürs Musiktheater gesagt? Gewiss hätte er sich Fragen gestellt: Ist es erlaubt, dass die Waschmaschine, der Staubsauger mehrmals über die Bühne fahren? Macht es Sinn, dass am Ende der ganze Hausrat gestapelt auf die Bühne geschoben wird? Wo ist da der erlösende Effekt des fröhlichen „Und das wäre Ihr Preis gewesen!“? Überdies schießen an der Rückwand der Bühne noch ständig Türen hin und her, an der Decke wird eine Lampenralley gegeben und und und. Vielleicht kann man Gefallen an solcherart Späßen finden, Fakt ist, dass diese schwere Prise Theaterrealismus die subtilen Ansätze von Von heute auf morgen völlig übermalt und auf ein Schwarz-Weiss-Tableau reduziert. Wenn es doch so einfach wäre, dass die liebe Hausfrau nach der Romanze mit dem Opernsänger einfach wieder an den Abendbrotstisch zurückkehrt nach dem Motto „Gegessen wird zu Hause“. Nein, so einfach ist es nicht und Schönberg hat textlich wie musikalisch Brüche eingearbeitet, die Fragen offen und stehen lassen. Die Inszenierung hat das nicht interessiert.

Reduzierter in der Ausstattung, aber inhaltlich fast noch platter geht es in Carlos Wagners Inszenierung von Die Glückliche Hand (1913) zu. Im Astronautenanzug schwebt der Mann auf die Bühne. Er träumt überirdische Träume. Klar, dass sich davon nicht alles verwirklichen lässt, die Angebetete wendet sich einem Anderen zu. Der Glückliche, in Leipzig heute Mitglied eines sechsköpfigen Fußballteams, umkreist tribbelnd den galaktischen Träumer, wieder ein einfaches Motto: „Der Ball muss ins Tor!“.In der Erwartung (1909) von Sandra Leupold sitzt die Frau einfach nur an einem Schreibtisch, die Bühne ist von allem Ausstattungsklimbim freigeräumt. Deborah Polaski lässt sich auf die verstörende Geschichte der Frau ein, die nachts den Wald nach ihrem Geliebten durchkämmt. Die Inszenierung sucht den inneren Konflikt, bewusst die äußere Zurschaustellung vermeidend. Gefangen in sich selbst! Verstärkt wird das später durch eine Handkamera, die Polaski übergroß auf die zwei riesigen Projektionsflächen überträgt. Hier glaubt man sich angekommen in einem modernen Musiktheater, welches subtil den Fragen des Stückes nachgeht und mit heutigen technischen Mitteln ein visuelles Erlebnis schafft.

Das Resümee fällt nüchtern aus: Musikalisch überzeugend, vor allem im letzten Teil mit der glänzenden Deborah Polaski, leistet die Inszenierung szenisch und dramaturgisch nicht das, was im aktuellen Musiktheater heute möglich ist. Immer noch, sieben Jahre nach der erfolgreichen Ära Zimmermann, wartet die Oper Leipzig auf moderne Inszenierungen, die wieder überregional wahrgenommen werden. Ein halb gefülltes Haus zur ersten Aufführung nach der Premiere spricht Bände.

Moderne Menschen – Eine Schönberg-Trilogie

Musikalische Leitung: Axel Kober
GewandhausorchesterVon heute auf morgen
Inszenierung: Immo Karaman
Mit: Wolfgang Newerla, Hendrikje Wangemann, Timothy Fallon, Susanna AnderssonDie glückliche Hand
Inszenierung: Carlos Wagner
Mit: Mitglieder des Chores der Oper Leipzig & Matteo de MontiErwartung
Inszenierung: Sandra Leupold Mit: Deborah Polaski

Premiere: 5. April 2008, Oper Leipzig, Opernhaus

Pro Schönbergs „Moderne Menschen“: Zurück zum Expressionismus (Sebastian Schmideler)

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