Japans versteckte Gastarbeiter

Die Schaubühne zeigt den Leipziger Dokumentarfilm „Saure Erdbeeren – Schwerer Stahl” von Tilman König und Daniel Kremers

„Wenn ihr euch verletzt, werdet ihr sofort entlassen.“ Klare Worte, die so und ähnlich vielen Gastarbeiter/innen bekannt sind. Wenngleich das Arbeitsrecht in Japan dem einer modernen Industrienation entspricht, leben und arbeiten circa zwei Millionen Einwanderer unter kaum vorstellbaren Bedingungen. Der Inselstaat ist in seinem Selbstverständnis bis heute kein Einwanderungsland und faktisch bis Ende der 1980er Jahre fand diese auch nicht statt. Um jedoch den Bedarf an (vor allem billigen) Arbeitskräften zu decken, wurden und werden inkonsequente Regelungen getroffen, die zuerst die Rückkehr von Südamerikaner/innen mit japanischen Vorfahren erlaubte und heute auch unter den Euphemismen „Praktikum“ oder „Ausbildung“ den Import von ungelernten Fronarbeiter/innen (zum Beispiel aus China) ermöglicht.

Nun muss man kein ausgewiesener Kenner Japans sein, um bereits vom vitalen Patriotismus beziehungsweise Nationalismus gehört zu haben und den diplomatischen Verwicklungen, die damit verbunden sind, insbesondere was die Kriegsverbrechen in China und Korea wie auch die japanische Erinnerungskultur betrifft. Dennoch sind die in diesem Dokumentarfilm festgehaltenen Rassismen teilweise von einer derart unhinterfragten Härte, dass man oft nur verwundert mit dem Kopf schütteln kann. Selbst die (wie immer) privilegierten Europäer/innen und Nordamerikaner/innen haben mit Benachteiligungen und auch mit Anfeindungen zu leben. Umso problematischer gestaltet sich die Situation für asiatische Nachbarn oder Afrikaner/innen.

In den verantwortlichen Bereichen in Politik und Wirtschaft wird jedoch über den Bedarf an Arbeitskräften, den Bevölkerungsrückgang und die demographische wie wirtschaftliche Zukunft des Landes nachgedacht. Die in diesem Rahmen geäußerten Vorstellungen sind allerdings recht einfältig und reichen von der Auslagerung der Produktion über Roboterarbeitskraft bis hin zu beängstigend naiven Vorstellungen von Arbeitsmigration und Integration. Dies ist nicht zuletzt auf die lange Zeit mangelhafte beziehungsweise gänzlich fehlende öffentliche Debatte um Einwanderung zurückzuführen, welche erst seit diesem Jahr langsam vorangebracht wird.

Tilman König und Daniel Kremers ist mit diesem Film ein spannender Einblick in eine bislang kaum wahrgenommene Problematik gelungen, ohne plakativ oder emotionalisierend vorzugehen. Wie sie selbst einräumen, ist der Film deutlich problemorientiert und mag dadurch die Schwierigkeiten und Übel virulenter erscheinen lassen, als es tatsächlich der Fall ist. Die aufgezeigten Beispiele legitimieren dieses Vorgehen jedoch ausreichend und werden jeweils individuell verhandelt. Dadurch liegt gerade die Stärke des Films in einer prägnanten Kernaussage, während auf den Versuch einer umfassenderen Gesellschaftsanalyse, Verallgemeinerungen oder Dramatisierungen glücklicherweise verzichtet wird. Lediglich die eingesprochenen Kommentare sind leider sowohl sprachlich wie auch inhaltlich allzu karg ausgefallen – hier wünscht man sich doch hin und wieder einige Erläuterungen mehr. Dies wurde insbesondere an den zahlreichen Fragen seitens des Publikums nach der Premiere deutlich.

Insgesamt handelt es sich trotz geringen Budgets um eine beachtliche und ambitionierte Produktion, die spannende Fragen stellt und neue Fragen aufwirft. Somit bleibt der Film nicht bei seinem Thema stehen, sondern schafft auch die Grundlage für einen weiteren Zugang beziehungsweise einer veränderten Wahrnehmung Japans. Gerade im Rahmen des OHAYÔ, JAPAN! -Festivals vermag dieser Film somit ein kontrastreiches Bild von einem Land zu entwerfen, welches eben nicht nur über einen faszinierenden und fremdartigen Kulturreichtum verfügt, sondern auch mit beträchtlichen Problemen konfrontiert ist, welche uns Europäern durchaus vertraut sind.

Saure Erdbeeren – Schwerer Stahl

Im Rahmen von OHAYÔ, Japan!
Regie: Tilman König und Daniel Kremers
Schaubühne Lindenfels

Premiere: 19. September 2008

http://ohayo-japan.de/html/2008/de/saure-erdbeeren.html


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.