Kommentarbedürftiger Kulturimport

„Strange Stories“ stellt verschiedene künstlerische Praxen nebeneinander

Das Festival OHAYÔ, JAPAN! geht in seine zweite Runde und erweitert sich dabei beträchtlich hinsichtlich Inhalt, Umfang und Spielorten. So wird das diesjährige Festival von Ausstellungen bildender Kunst aus Japan flankiert und auch Filme kommen zur Aufführung, darunter auch die Weltpremiere Saure Erdbeeren – schwerer Stahl!. Darüber hinaus beschränkt sich das Festival dieses Jahr nicht nur auf die beiden „Lindenfels-Häuser“, sondern es konnte einerseits über das Spinnwerk eine Kooperation mit dem Centraltheater hergestellt werden und andererseits kommt das Festival ebenfalls auf der Bühne des Bauhauses Dessau zur Aufführung sowie im Dresdner Societätstheater.

Das Besondere an diesem Festival ist vor allem der Ansatz, nicht nur Kulturimport zu betreiben und japanische Produktionen hier zu zeigen, sondern auch den künstlerischen Austausch zu fördern – dies geschieht sowohl durch Workshops inklusive Abschlusspräsentation als auch durch lancierte Kooperationen zwischen japanischen und westlichen Künstler/innen, auf dass diese gemeinsam etwas entwickeln. Somit zeigt das Festival hier, was in Japan so auch noch nicht gesehen werden konnte. Folgerichtig strebt man für das kommende Jahr an, die in Deutschland erarbeiteten Stücke auch in Japan vorzustellen und damit das Programm gewissermaßen zu re-importieren.

Neben dem Austausch zwischen den Künstler/innen formuliert der künstlerische Leiter Tom Grigull zugleich den Anspruch, auch dem hiesigen Publikum einen Zugang zur japanischen Kultur zu eröffnen. Von daher soll nicht der exotische Reiz des Fremdartigen und Rätselhaften ausgestellt werden. Vielmehr soll durch eine Fokussierung auf handwerkliche Aspekte des Theaterspiels als einer erlernbaren Technik als auch durch den ästhetischen Reiz der Inszenierung ein unmittelbares Erlebnis ermöglicht werden. Wie sich bereits im Vorjahr zeigte, ist dies ein sinnvoller und auch tragfähiger Ansatz, welcher Schwellenängste zu minimieren hilft und neuartige Eindrücke ermöglicht.

Als Festival-Eröffnung diente ein spannendes Projekt: Die Produktion Strange Stories des Münchener Meta-Theaters versucht, das mittelalterliche Nô-Theater mit klassischem europäischen Ballett in Beziehung zu setzen. Die zweiteilige Inszenierung setzt sich aus einem traditionellen Nô-Stück und einem daran anschließenden Tanzwettbewerb zwischen dem Nô-Tänzer und einer Ballerina zusammen. Der Anspruch der Unmittelbarkeit wird hierbei jedoch nicht erreicht. Bei Nô handelt es sich um eine für westliche Besucher/innen außerordentlich kommentarbedürftige Theaterpraxis. Ohne die Erläuterung im Programmheft wird keineswegs ersichtlich, dass hier der anmutige Flug eines Kranichs und die Liebe einer Vogelmutter zu ihren Jungen dargestellt werden. Die reduzierten Formen und stilisierten Gebärden bleiben den unwissenden Zuschauer/innen ebenso unverständlich wie die Funktion der verschiedenen Personen auf der Bühne oder die Szenenabfolge. Man kann lediglich ergebnislos rätselnd einem fremdartigen Ritual folgen und zur Kenntnis nehmen, dass offenbar eine Vielzahl an gestischen Codes gezeigt wird, aber hat letztlich keine andere Wahl als die Rolle des Touristen einzunehmen, der passiv Exotik konsumiert. Hier wäre eine Art „Beipackzettel zum Nô-Spiel“ für jene, die es interessiert, eine sinnvolle Ergänzung zum Programmheft gewesen.

Geradezu haarsträubend ist jedoch der zweite Teil, das Aufeinandertreffen von Nô und Ballett. Während man vorher um das Verständnis der Symbole rang, stellt sich hier nun die Sinnfrage: Was soll das? Der Asiate und die Europäerin stehen in einem tänzerischen Wettstreit, der offenbar erbittert ausgetragen wird. Dabei werden sowohl Parallelen wie auch Unterschiede der künstlerischen Praxis aufgezeigt, welcher schließlich durch den dramaturgischen Kniff, dass sich die Europäerin eher versehentlich die Seele des Japaners einverleibt, zur Synthese gebracht werden. Dies wird jedoch von unerträglich plumpen elektronischen Klangstreams und gänzlich überflüssigen Videoprojektionen begleitet. Außerdem führt die Verschmelzung der verschiedenen Elemente nicht zu einer anregenden neuen Körpersprache, sondern bleibt in einer Aufhebung der jeweiligen Stärken der verschiedenen künstlerischen Praxen stehen. Der Produktion haftet bei aller technischen Meisterschaft der Tänzerin und des Tänzers ein intellektuelles Kunstwollen an, das sich in einer Zangen-Kopfgeburt erschöpft. Geradezu schmerzhaft karg fällt dementsprechend auch der Beifall des Publikums aus, das damit eine verschenkte Gelegenheit kommentiert.

Strange Stories
Im Rahmen von OHAYÔ, JAPAN!
Auf der Bühne: MATSUI Akira, Yelena Pankova
Produktion: Meta-Theater (München)
Schaubühne Lindenfels
17. September 2008
http://ohayo-japan.de/html/2008/de/strangst.html
Bilder: Manuela Kasemir

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