Aufbruch an der Oper

Poulenc & Schönberg in Konwitschnys erster Premiere

Pierrot lunaire (Foto: Andreas Birkigt)

Die erste Premiere der neuen Saison ist auch die erste Premiere unter der neuen Opernleitung: Viererbande nennt Alexander von Maravic sein neues Team. Neben ihm selbst als Intendanten steht da vor allem Peter Konwitschny als neuer Chefregisseur. Nach den personellen Turbulenzen des letzten Jahres sind die Erwartungen natürlich hoch. Wird es dieses Team schaffen, den freien Fall zu stoppen, in dem sich die Oper konzeptionell und künstlerisch befindet? Wie reagiert das gebeutelte Publikum nach vielen Jahren der Stagnation unter Henri Meier und den wenigen Jahren unter der künstlerischen Knute des Italieners von der anderen Seite des Augustusplatzes? Gebeutelt deshalb, weil die neuen künstlerischen Ansätze verschiedener nicht sein könnten. Ohne rot zu werden, kann man die letzten Produktionen in Verantwortung von Riccardo Chailly als reines Absingen bezeichnen, freilich auf musikalisch höchstem Niveau. Mit Peter Konwitschny als Chefregisseur zieht jetzt eine Auffassung von Musiktheater ein, welche der konzeptionellen Auseinandersetzung mit dem Stoff die Priorität einräumt. Das Motto des Wiener Architektenteams um den Revoluzzer Wolfgang Prix „Architektur muss etwas bewegen, muss verstören, muss brennen, muss sprengen und muss hart sein“ könnte man ein zu eins auch Peter Konwitschny zuschreiben, man braucht dabei das Wort Architektur nur durch „Musiktheater“ zu ersetzen.La voix humaine ist ein sehr konzentriertes, ein sehr innerliches Stück. Der Einakter hat nur ein Thema: Eine Frau telefoniert mit ihrem Freund, ihrem Liebhaber, genau erfährt man das nicht. Sie turtelt und schmeichelt, mal ist sie ernst, dann verzweifelt. Dem Flüstern folgt das Schreien. Angeles Blancas lässt ein wunderbares Kaleidoskop ach so menschlicher Befindlichkeiten entstehen. Das Wort, der Text ist da zweitrangig. Es reicht ab und an ein paar Wortfetzen zu verstehen. Die scharf gezeichnete Gefühlswelt mündet nach cirka 25 Minuten in Verzweiflung und Entsetzen. Die Musik, bis dahin eher begleitend, wird dunkler und dichter. Die Stimme bleibt aber trotzdem im Vordergrund, auch die Bühne unterstützt diesen Ansatz: Bis zur ersten Reihe ist der Graben überbaut, das Orchester befindet sich hinter dem sparsamen Bühnenbild. Angeles Blancas rekelt sich auf einem weißen Sofa in einem sterilen weißen Zimmer. Es ist ihrer tollen stimmlichen und schauspielerischen Leistung zu verdanken, dass der erste Teil des Abends voll aufgeht. Das Publikum ist begeistert!

Nach der Pause: Arnold Schönbergs Komposition Pierrot lunarie. Die Vertonung der dreimal sieben Melodramen von Albert Giraud ist eine ziemliche Herausforderung an die Regie. Das Stück entstand in einer Zeit, in der beinahe alle klassischen Systeme erschüttert wurden. Musik und Malerei, Literatur und Sprache, Geistes- und Naturwissenschaften, in allen Bereichen erfolgt eine Umdeutung der Werte. Friedrich Nietzsche erklärte: „Gott ist tot“. Schönberg reagierte auf diese Umwälzungen mit der Zersplitterung der Form. Das expressiv-atonale Werk vertont 21 Gedichte aus einem Zyklus des französischen Dichters Albert Giraud in der deutschen Übersetzung von Otto Erich Hartleben. Er schrieb Pierrot Lunaire in wenigen Tagen von März bis Juni 1912. Die strengen, aber poetischen Versformen der grotesken Gedichte bilden die Grundlage von Schönbergs spannungsgeladener und abwechslungsreicher Musik: Leichte, freie Kompositionen stehen neben schweren und komplexen.Pierrot Lunaire folgt keinem durchgehenden Plot. Jedes Gedicht beschreibt eine kleine Szene, ein bewegtes Bild, eine makabre Anekdote, eine Groteske der Nacht, des Mondes oder des mondsüchtigen Pierrot. Allein Schönbergs Musik und der Sprechgesang der Sängerin verbinden alles zu einer Einheit. Zu einem Musiktheatererlebnis wird dieses Stück erst durch einen überzeugenden und deutlichen Regieansatz. Peter Konwitschny, der auch für Bühne und die Kostüme verantwortlich zeichnet, stellt sich mit Lust dieser Herausforderung. Er versetzt das Stück in seinen zeitlichen Kontext: Eine agile zuweilen frivole Young-Hee Kim gibt den traurigen, sehnsüchtigen und vor allem poetischen Clown. Mit slapstickhaften Einlagen erspielt sie sich traumwandlerisch eine betörende Narrenfreiheit. Die Instrumentalisten, die auf der Bühne direkt hinter den spärlichen Requisiten sitzen, müssen sich einiges gefallen lassen. Der Violine wird der Bogen geklaut, auch der Mann am Flügel hat einiges auszustehen. Die Kombination von energischer Erdung des Themas und subtiler Ausstattung, von einem Bühnenbild kann man gar nicht so richtig sprechen, schafft musikdramaturgische Dichte. Johannes Harneit gelingt es zudem den auseinanderdriftenden musikalischen Ideen Konsistenz zu geben. Ein sehr kantiger und strenger Klang, rhythmisch so präzise, dass man in den Pausen glaubt, ein Metronom ticken zu hören.

Ein anregender Abend, der einlöst, was die neue künstlerische Leitung verspricht. Man kann nur die Daumen drücken, dass das Publikum bereit ist, diesen neuen Weg mitzugehen. Einige leere Plätze bei der Premiere verheißen da erst mal nichts Gutes.

La voix humaine (Die menschliche Stimme) / Pierrot lunaire

Francis Poulenc / Arnold Schönberg
La voix humaine: Lyrische Tragödie in einem Akt
Text von Jean Cocteau
Francis Poulenc & Arnold Schönberg
Musikalische Leitung: Josep Vicent
Inszenierung: Christoph Meyer
Bühne & Kostüme: Ramon Ivars
Eine Frau: Angeles Blancas
GewandhausorchesterPierrot lunaire: Drei mal sieben Gedichte von Albert Giraud / Deutsch von Otto Erich Hartleben
Musikalische Leitung: Johannes Harneit
Inszenierung & Bühne: Peter Konwitschny
Eine Frau, die zu viel telefonierte: Young-Hee Kim
Gewandhausorchester

Oper Leipzig, Premiere: 20. September 2008


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