Denken auf der Bühne

„Initialzündung“ der Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck

Guillaume Paoli ist der Hausphilosoph des neuen, von vielen mit Freude begrüßten, von manchen mit Argwohn beäugten, Leipziger Centraltheaters. Als sich circa 40 bis 50 Interessierte am 9. Oktober im Rangfoyers desselben einfanden, war nur eins klar: Es sollte um die Gründung der „Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck“ gehen.
„Programmatische Irritationen“ waren angekündigt – und diese sollte es denn auch im doppelten Sinne geben. Dabei zeigte sich Paoli als durchaus unterhaltsamer und anregender Denker auf der Bühne. Thematisch kreiste sein aus frei vorgetragenen Überlegungen und ausgewählten eigenen Texten bestehender Auftritt um Kritik und Krise. Und klar: Da sind wir vom Leipzig Almanach dabei. Immerhin haben auch wir Minimalkenntnisse der griechischen Sprache und so manch ein Redaktionsmitglied hat seinen Kosselleck oder Foucault im Regal stehen.

Was macht also ein solcher Hausphilosoph auf der Bühne? Ganz konkret? Er erfindet vor uns, mit uns, Metaphern. Die Brechtsche Figur des Denkers auf der Bühne präsentiert Begriffe, die stets zunächst Angebote, Perzeptionsanregungen, Irritationen sind. Für diejenigen, welche immer eine historische Absicherung brauchen: Das hat Tradition, Nietzsche war so einer, Deleuze ganz bestimmt auch, und noch einige mehr.

Das Leipziger Übergangszeitenpublikum reagierte gemischt. Euphorie und Kritik, Amüsement und Distanz hielten sich durchweg die Waage. Höhepunkt des Abends war sicherlich die mit polizeiwissenschaftlichem Gespür formulierte Publikumsfrage „Können sie sich überhaupt als Philosoph ausweisen? Was berechtigt sie zu so einer Position?“ Beiträge wie dieser markierten vor allem Grenzen: Die des Kredits, welchen man bereit ist zu geben, wie auch tendenziell weltanschauliche. Dem Redakteur des Leipzig Almanachs ist es beispielsweise scheißegal, ob sich jemand ausweisen kann – hallo? Geht’s noch? Man komme ihm in diesem Kontext auch nicht mit Ironie: Diese ist allemal inflationär und eine allzu leichte Legitimationsstrategie.

Also noch einmal: Was tut ein Denker auf der Bühne? Er verkörpert einen Standpunkt, wechselt diesen dann, er erkundet den feinen Unterschied, die Lücke zwischen notwendiger Verkörperung eines Gedankens oder Diskurses und dem notwendigen Verrats desselben: durch Ironie, Tonfallwechsel, den Übergang zur nächsten Metapher, mitunter auch Unterhaltsamkeit. Ist der universitär institutionalisierte Philosoph als regulärer Kämpfer anzusehen, kommt dem Denker auf der Bühne der Status des Partisanen zu. Diese aber sind ungeschützter, manchmal angreifbarer – das ist der Preis, den sie für ihre spezifische Wirksamkeit bezahlen müssen.

Das diesbezügliche, vorläufige Fazit muss lauten: Alles ist noch in der Schwebe. Ob Paoli es schafft, auch einen Teil des ihm und dem neuen Haus ablehnend gegenüber stehenden Publikums zu überzeugen, ist noch eine offene Frage. Dazu wird es der Lust am gemeinsamen, öffentlichen Denken, der Lust am Erfinden und Kritisieren bedürfen. Ein Denker auf der Bühne muss das durchstehen: Jetzt, hier, morgen, übermorgen.

Guillaume Paoli: „Initialzündung“ der Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck
Centraltheater
9. Oktober 2008

Zur zweiten Tagung der Prüfgesellschaft:

06.11.2008
Patchwork der Befindlichkeiten: Die Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck tagt zum zweiten Mal (Tobias Prüwer)

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