„Bei aller Vorsicht!“

Nächtlicher Spaziergang mit hohem Unterhaltungswert

„Der Hauptteil der Aufführung gleicht einer Therapiesitzung eines Psychotrainers vor Publikum. In fortwährender Interaktion mit dem Publikum zieht dieser von Fabian Hinrichs einmalig dargestellte ‚Coach‘ sämtliche therapeutischen Klischees durch den Kakao. Und das Publikum wird permanent angemacht. Aber auf unaufdringliche Art. So bleibt es stets auf der Seite Hinrichs. Ironisch pointiert garniert Kamerun das Stück mit aktuellen Schweizer Bezügen, etwa mit witzigen Kommentaren zum Rechtsruck der vor kurzen stattgefundenen Wahlen. Fazit: Ein grandioses Stück, das einen kurzweiligen Abend verspricht.“ So berichtete die Vorarlberger Tageszeitung über Schorsch Kameruns Theaterarbeit Biologie der Angst, welche am 7. Mai 2007 am Schauspielhaus Zürich Premiere hatte.

Auch bei Kameruns musikalischer Überprüfungsspaziergang unter professioneller Anleitung geht es in den Ankündigungen um Angst und den Umgang damit. Auch hier ist Fabian Hinrichs der Profi und Coach, welcher dem Publikum im Umgang mit der Angst eine Lektion erteilt. Hat die Gelbe Zitrone Schorsch Kamerun gar ein großes Thema gefunden? Der Hausbesetzer aus der Hamburger Hafenstraße und „Chefverweigerer der deutschen PopPunkWelt“ (ARTE) erklärt dem deutschsprachigen Establishment mal so richtig was los ist?

Am Haus der Begegnung in der Wiener Leopoldstadt prangt unübersehbar das Zeichen der SPÖ, der große Saal ist dunkel getäfelt, dunkelrot der Vorhang. Auf der sehr hoch gelegenen Bühne ein Kammerorchester, das hat irgendwie den Charme einer sozialistisch-kommunistischen Festveranstaltung. Fabian Hinrichs beginnt in hypnotisierendem Ton einen Monolog über Sicherheit und Freiheit, über den heutigen Abend und darüber, dass er heute für uns verantwortlich ist und wir keine Angst haben müssen. Die Musik dazu von Carl Oesterhelt ist schwach, psychodelisch dramatisiert sie vor sich hin, Lichtjahre von Kameruns Gelben-Zitronen-Sound entfernt. Der Spaziergang ist hochprofessionell organisiert. Hinrichs sitzt auf den Schultern eines stämmigen Kraftsportlers, allerlei mit Security beschriftet Herren tragen auf ihren Rücken eine komplette Hi-Fi Anlage, so dass die permanente verbale Berieselung auch bei allen der cirka 200 Mitläufer gut ankommt. Außerdem wird live gefilmt und alles auf einen mobilen Screen übertragen. Erste Station ist die Umbenennung der Afrikanergasse in Deutschenergasse. Etwas sehr direkt diese erste Regieidee! Weiter geht’s, plötzlich spielt das Orchester vom Balkon eines Hauses, mitten in einem Vortrag über die jüdische Geschichte des Viertels brüllt Hinrichs plötzlich vom Balkon der anderen Straßenseite, wir sollen uns schnell in die angrenzende Kirche begeben. Warum er diese Schutzkirche nennt, bleibt verborgen, ebenso wie der Sinn des mit einem IPhone verkleideten Kamerun, welcher die Zuschauer in der Kirche erwartet. Den Vorplatz der Kirche nutzt Hinrichs anschließend zu einem Happening mit dem Thema: Warum müssen sich im Theater denn immer alle ausziehen? Er selbst findet daran größten Gefallen und nachdem er fast nackt vor uns steht, beginnt er, sich mit Ketchup und braunem Senf zu bespritzen. Dann das Thema mit dem Z-Schlüssel – die Sicherheitslücke in Wien. Eine Art Generalschlüssel von Briefträgern macht es möglich in Sekundenschnelle in Abertausende Häuser Wiens zu gelangen. Das wird alles mit größtmöglicher Emphase deklamiert, dass es auch jeder versteht!

Der Reiz dieses Spaziergangs liegt im gemeinsamen Erkunden des Wiener Bezirks, Leopoldstadt, das Thema Sicherheit und Freiheit oder der Umgang mit Angst sind nur Randthemen eines unterhaltsamen Abends. Am Ende sind wieder alle im dunkel getäfelten Saal im Haus der Begegnung. Fabian Hinrichs verabschiedet sich mit sichtlicher Freude über das Ergebnis des Abends. So einfach ist das: indem man den Leuten etwas bietet, kommen sie gar nicht in die Situation grüblerisch zu werden und Ängste zu entwickeln.

Bei aller Vorsicht!
Ein musikalischer Überprüfungsspaziergang unter professioneller Anleitung im Rahmen der Wiener Festwochen 2009
Inszenierung: Schorsch Kamerun
Komposition: Carl Oesterhelt
Dramaturgie: Almut Wagner
Musikalische Leitung & Beratung: Jürgen Partaj
22. Mai 2009, Haus der Begegnung, Leopoldstadt

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