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Im „Bildatlas Philosophie“ kann das Abendland durchblättert werden

So ist dieses Buch eigentlich nur ein Album.
Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen

Was muss man sich unter einem Bildatlas vorstellen? Nun, er ist eine chronologisch aufgebaute visuelle Darstellung der abendländischen Philosophiegeschichte, die neben lexikalischen Einträgen zeittypische Abbildungen enthält, welche auf die jeweiligen Texte Bezug nehmen. So wird der Abschnitt zu rhetorischen Figuren mit einer Darstellung der göttlichen Hand aus der religiösen Kunst und einer Werbegrafik illustriert. Was nun fängt man mit diesem Werk an? Am besten, man schlägt es irgendwo auf und beginnt eine Reise, die sich an den vielen Verweisen entlang hangelt. Als kleines Beispiel soll hier solch eine Exkursion unternommen werden.

Die Seiten teilen sich unter den Händen des Autors und dann liegt sie offen, die Startseite: Ewige Wiederkehr. Unter diesem Stichwort wird von der hellenistischen Vorstellung einer zyklischen Struktur der Zeit berichtet, die sich angesichts der modernen Fortschrittsidee merkwürdig ausnimmt. Hier prangt unter anderem ein Kreisel von Nietzsche-Portraits, der die Idee der Ewigen Wiederkehr aufgriff. Dem Verweis Nihilismus folgend, kommen wir nach kurzer Etappe zum Lebens-Begriff. Die Lebensphilosophie hatte großen Einfluss auf die künstlerische Avantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts, weshalb sich die Weiterleitung zur Ironie anbietet, um so bei ihrem Lehrmeister anzukommen. Sokrates, so ist zu erfahren, wendete sie in seiner dialogischen Philosophie an, um sein Gegenüber auf logische Fehlschlüsse hinzuweisen. An der Darstellung des Sokrates als unermüdlichem Lehrer nun hatte die Pädagogik starkes Interesse, in deren Fahrwasser wir nun zur Aufklärung schippern. Deren Betonung der Vernunft muss den Leser für den Wahnsinn interessieren, der als Abnormalität oder Absenz von Rationalität charakterisiert wird. Von dem ist es zum Gesunden Menschenverstand nur ein winziger Sprung durch die Seiten und schon befindet man sich in Diagrammen zu konnektionistischen Netzwerken der Künstlichen-Intelligenz-Forschung wieder, die wiederum… – Doch das soll hier zur Demonstration genügen.

Man sieht, es lassen sich allerhand wundersame wie erhellende Verknüpfungen auffinden. Dabei erweist sich das Buch als solide gemachtes Populärlexikon – von kleinen Schnitzern einmal abgesehen. So enthält es ein verdrehtes Wittgensteinzitat, wenn es verallgemeinernd heißt „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“. Wittgestein selbst wies aber darauf hin, dies eben nicht für alle Fälle von „Bedeutung“ sagen zu können. Aber das ist ein Detail. Der Bildatlas dient gewiss nicht dem tieferen Verständnis philosophischer Fragen und ist auch keine brauchbare Einführung. Aber dazu soll der Atlas schließlich auch nicht dienen. Den größten Gewinn kann man daraus ziehen, wenn er wie ein Assoziationsmedium benutzt wird; man ihn immer wieder zur Hand nimmt, um sich ins Dickicht der Geistesgeschichte zu schlagen, ihre Labyrinthgänge zu durchforsten, sich darin zu verlieren und vielleicht den roten Faden wieder aufzunehmen. Kurzum: Sich die Muße eines intellektuellen Flanierens zu gönnen und vielleicht anregen zu lassen, das ein oder andere Originalwerk zu konsultieren.

Ubaldo Nicolai: Bildatlas Philosophie. Die Abendländische Ideengeschichte in Bildern
Parthas Verlag
Berlin 2007
582 S. – 38 €
www.parthasverlag.de

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