Muthspiel in leicht verändertem Gewand

Wolfgang Muthspiel 4tet präsentiert Album „Earth Mountain“

Auffallend vielgestaltig präsentiert sich das Album Earth Mountain des Wolfgang Muthspiel 4tets seinem Hörer. Schon der erste Eindruck legt nicht allein die hier bediente stilistische Bandbreite offen, sondern auch einige innermusikalische Reminiszenzen: Der stilistisch offen gehaltene Swing Mupemo erinnert gleich, sowohl dem Gesamtklang wie auch seinem Thema nach, an den frühen Pat Metheny und Stücke wie Missouri Uncompromised. Das nicht von ungefähr; gilt Metheny doch als überaus prägender Einfluss für Muthspiels eigene künstlerische Entwicklung. Gerade sein solistisches Spiel im musikalischen Rahmen dieses Titels lässt diese Einflüsse klar erkennen. Weitaus deutlicher ist die Bezugname des Stückes Radiohead, das fließend zwischen 5er- und 6er-Rythmen wechselt, dabei aber dennoch über die schlichte und eingängige Melodik im Thema wie in den Soli einen völlig intuitiven Eindruck vermittelt. So wird auch jenseits des eindeutigen Titels auf eine Gruppe verwiesen, deren Kompositionen schon seit einigen Jahren im erheblichen Ausmaß Adaptionen im Jazzbereich gefunden haben. Doch diese zwei Stücke erschöpfen keineswegs die hier repräsentierte stilistische Vielfalt: Progressive uptime Groovestücke wie der Eingangstitel Jackson’s Pocket, der sich mit seinem sehr basslastig abgemischten Brackbeat und der primär auf lange Lines ausgelegten Melodik eher untypisch für Wolfgang Muthspiel ausnimmt, finden sich ebenso wie unterschiedlich gestaltete Balladen. Leider wirft diese Fülle für den Hörer schnell die Frage auf, inwiefern es sich bei Earth Mountain um ein loses Sammelsurium einzelner Kompositionen oder ein einheitliches Gesamtkunstwerk handelt. Und auch bei längerem Hören lässt sich ein vereinigendes Band nur schwerlich entdecken.

Ein überaus glücklicher Umstand ist der Pianist Jean-Paul Brodbeck, welcher das schon existierende Trio aus Wolfgang Muthspiel und den Brüdern Matthias und Andreas Pichler erweitert. Glücklich einmal insofern, als das hinzukommende zweite Harmonieinstrument die Häufigkeit von Life-Samples erheblich minimiert; allein an einer Stelle im ganzen Album wird kurzzeitig eine Gegenmelodie in Schleife gelegt. Zwar fällt damit ein gestalterisches Moment nahezu weg, das für die Musik Muthspiels prägend ist, dagegen gewinnt das Zusammenspiel im gleichen Zug merklich an Lebendigkeit und Spontaneität. Die im rubato gehaltene Ballade Earth Mountain, die mit vermeintlichem Bezug auf den gleichnamigen Wiener Stadtteil auch dem gesamten Album seinen Titel gab, lebt geradezu von den sperrigen Akkordflächen des Synthesizer, über die Wolfgang Muthspiel frei zwischen verfremdenden Läufen outside und lyrischen Melodiepassagen in verzerrtem Ton soliert. Dieses schwere Zusammenspiel gelingt beiden Musikern überzeugend; in Hinblick auf die Gestaltung trübt dieses Bild nur die an wenigen Stellen leicht überzogen wirkende Verwendung von Abwärtsbendings der Gitarre, die in ihrem Nachdruck und ihrer Anordnung fast schon ins Theatralische neigen. Solistisch fügt sich Brodbeck ebenfalls recht homogen zu seinen Mitmusikern, insoweit er ganz ähnlich an eigene melodische Motive anknüpft und diese weiterentwickelt. Gerade an den drei Soli des Titels Elegy wird deutlich, wie formal analog Muthspiel Brodbeck und Matthias Pichler hier mit dem vorgegebenen Tonmaterial umgehen.

Bis auf Elegy, das Brodbeck zu diesem Album beisteuerte, stammen alle Kompositionen ausnahmslos aus der Feder Wolfgang Muthspiels. Erkennbar ist bei Ihnen insgesamt ein sehr ausgewogenes Verhältnis der einzelnen Stimmen und Teile untereinander. Passagen unisono wechseln mit der Verteilung des Themas auf die einzelnen Instrumente, die so zwischen einer begleitenden und die Melodik tragenden Rolle changieren. Auskomponierte Teile fügen sich zwischen solistische Passagen ein, um so eine allzu starre Struktur der Stücke zu vermeiden. In Summe lässt sich das sehr schön an der das Album beschließenden Ballade Steps nachvollziehen: Ein Wechselspiel zwischen Bass und Gitarre innerhalb des Themas wechselt selbst wiederum mehrfach mit gemeinsamen solistischen Passage zwischen Gitarre und Klavier, so dass hier wie in keinem anderen Stück die Rollen zwischen Gitarre, Bass und Klavier in steter Bewegung bleiben. Zum Vermeiden allzu routiniert wirkender Formen gehört auch, wenn vereinzelt das eigentliche Thema erst zum Ende hin erklingt, wie etwa im Fall des Latin What Stays, in dem lediglich der zweitaktige Bassgroove den kompositorischen Rahmen bildet.

Bis auf die vereinzelten kleinen Makel handelt es sich bei Earth Mountain nichtsdestotrotz um ein durchaus hörenswertes Album. Gerade weil die Musik jenseits der Natürlichkeit und intuitiven Entfaltung, die aus anderen Alben des österreichischen Gitarristen bekannt ist, in einzelnen Punkten interessant untypisch für ihn erscheint: Dazu zählt nicht nur die zuvor erwähnte Lebendigkeit, die das Mitspiel Brodbecks bewirkt, sondern eine zum Teil unverhohlene Groove-Orientierung, wie sie dem Hörer gleich zu Anfang entgegentritt.

Wolfgang Muthspiel 4tet: Earth Mountain

Material Records, Wien 2008

18,- €

www.materialrecords.com



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