Der Verborgenen Speisung

Von der Kunst, mit einfachen Mitteln Wohlbehagen auszulösen

(Fotos: Franziska Reif)

Als Henri David Thoreau in Walden schrieb: „I went into the woods because I wanted to live deliberately. I wanted to live deep and suck out all the marrow of life“, schwebte ihm vielleicht im wörtlichen Sinne ein gegrillter Rinderknochen vor, an dem er sich, flankiert von grobem Salz, glatter Petersilie, Kapern und Zwiebeln, mit dem Löffel gütlich tun kann. Die Beglückungsgefühle, mit denen man dann auf die Welt und das Leben schaut, lassen einen noch öfter die fettigen Lippen nach dieser geschmacklich wunderbar ausbalancierten Mischung lecken.

Meine Tischnachbarin hat sich für Kohlrabi mit Fenchel entschieden. Sie beäugt mit interessierter Skepsis meinen Teller mit dem heißen Knochenstück und erzählt leicht erschaudernd von den Schweinsohren, die es beim letzten Mal gab und die dafür verantwortlich waren, dass sie den vegetarischen Gang gewählt hat.

Außer uns haben sich etwa 120 Leute klandestin an diesem Leipziger Ort eingefunden, bei dessen Bau gewiss kein Gedanke an Gastronomie verschwendet worden ist. Der Saal platzt zum einjährigen Jubiläum der kulinarischen Veranstaltung aus allen Nähten. Wie viele dieser Abende es schon genau gegeben hat, lässt sich während des Abends nicht klären, am Tisch kursieren Schätzungen zwischen „Das ist ziemlich sicher das zehnte Mal!“ und „Ach, das gabs schon mal?“ Auch die Wege, auf denen meine Tischgesellschaft vom Abend erfahren hat, sind vielfältig. Definitiv hat aber keiner ein Plakat oder Flyer gesehen – wer keine Genehmigung besitzt, kann zu viel Publicity nicht gebrauchen.

Einig sind ich und die Frau neben mir beim Hauptgang: gefüllter Schweinebraten mit Kräuterdrillingen und grünem Spargel. Sich den Grissini-Burger mit Spinat und Tomaten-Lavendel-Konfit entgehen zu lassen, ist nicht leichtgefallen, aber der grüne Spargel hat eine derartige Anziehungskraft ausgeübt, dass an ihm nichts vorbeiging. Dieser Gang war perfekt: Das Fleisch konnte man praktisch löffeln (was sich angesichts der Besteckknappheit, die aus dem unerwarteten Andrang resultierte, als durchaus nützlich erwiesen hat), die Kartoffeln und der Spargel waren tadellos gegart und gewürzt. Schließlich konnte man sich ein wenig ärgern, dass man es nicht wagt, am weiß gedeckten Tisch den Teller abzulecken und damit doch ein paar Tropfen der köstlichen Soße verschenkt.

Voller Vertrauen erwartete man das Dessert, das vor Zutaten zu platzen schien: Tonkabohnen-Parfait mit Mohn und Ingwer-Sonnenblumenkernkrokant. Das Vertrauen wurde nicht enttäuscht, hier konnten auch Dessert-Muffel wie ich begeistert werden. Zwischen den Gängen wurden Blätterteigtaschen mit Pfefferwurst und Minzpesto oder mit mariniertem Halloumi gereicht, die man am Lagerfeuer neben einer jungen Birke genießen konnte. Auch die Bar verkürzte die Wartezeiten zwischen den Gängen. Positiv anzumerken ist, dass keine Cola-Limo-Bionade-Getränke erhältlich waren, die definitiv nicht zum Essen gepasst hätten.

Hinter dem Hinweis auf die Wartezeiten versteckt sich übrigens keine unterschwellige Kritik: Es sollte absolut erwünscht sein, langsam zu essen und den Vorgängen in der Küche die Zeit zu lassen, die sie brauchen.

Ein Kommentar anzeigen

  1. WerteR Out Crowd, ich glaube es geht um eine Spielart der kulinarischen Erotik: Auch mal an Orten wunderbar speisen, die nicht in den Gelben Seiten stehen. Und ja, der Text ist gewiss kein Appetitzügler. Danke für den Comment. VG, tp

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.