Stoßwellen, Comics, Windgongs

Vielfalt in der zweiten Woche von TonLagen, dem Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik

Konzert für 50 Wingongs und vier Spieler (Foto: Oliver Killig)

Ob ein Konzertabend oder eine Performance, am Ende geht man doch mit der immer gleichen Frage nach Hause: Was bleibt, wo liegt der Erinnerungswert, wo das Neue des gerade Erlebten?

Der erste Teil des Programms von Ascolta beim diesjährigen Festival TonLagen kommt dabei nicht so gut weg. Fast vierzig Minuten zelebrieren die sieben Musiker – Trompete, Posaune, Cello, Gitarre, zweimal Schlagzeug und Klavier – eine auf Neue Musik gerichtete Improvisationsshow. Mit den üblichen Kontrastpaaren wie piano/forte oder horizontal/vertikal reagieren die Musiker auf die visuellen Aktionen von Jennifer Walshe. Jennifer Walshe kritzelt auf verschiedene Comics allerlei Zahlen, Pfeile, Häkchen oder Kreise. In einem permanenten Wechsel werden diese Kritzeleien über eine Kamera auf eine Leinwand übertragen und so zur Vorlage der Musik. Ein Comic mit einem rasenden Auto und der Textzeile „Brrmm“ provoziert die Musiker dann zu dynamischen klanglichen Aktionen. Anfangs kann man das noch unter der Rubrik „witzig“ abtun, mit der Zeit wiederholt sich jedoch Visuelles und Klangliches in einer ermüdenden Weise – ein nachhaltiger ästhetischer Wert ist nicht auszumachen. Das Comic „Don‘t give up hope“ kann da auch schon nicht mehr helfen.

Am nächsten Tag führt Moritz Gagern eine kleine Version seines Konzerts für 50 Windgongs in einer Seitenbühne des Festspielhauses auf. Die ungefähr 100 Zuhörer dieses Abends sind u-förmig um die 50 hängenden Windgongs platziert. Trompete, Cello und Bassklarinette befinden sich frei dazwischen. Die Soloinstrumente beginnen mit ruhigen horizontalen Linien, welche sich nach und nach ineinander haken. Die Windgongs anfangs nur geräuschhaft eingesetzt, durch Streichen eines Bogens, entwickeln dann weiter räumliche Dimensionen. Die Intensität steigert sich durch die Lautstärke und die Länge des Ausklingens. Dieses Ausklingen wird physisch erlebbar und damit auch der Aufführungsraum mit den sich darin aufhaltenden Zuhörern. Bei sehr intensiven Aktionen der Trompete beginnen die Gongs teilweise mitzuklingen, angeregt durch die Luftdruckwellen. Musik wird physikalisch und alle Beteiligten im Raum werden Teil der Aktion. Möglich wird dies vor allem durch die exzellenten Musiker des Abends. Lea Rahel Bader am Cello ertastet die kleinste Nuance der Komposition, Damir Bacikin legt seine Trompetenlinien um die Schwingungen der Gongs, Georg Wettin setzt herrlich schillernde Kontraste mit dem tiefen Spektrum der Bassklarinette. Moritz Gagern selbst bewegt sich wie ein Zeremonienmeister zwischen den hängenden Gongs immer auf den Gesamtzusammenhang, die Transparenz der Komposition achtend.

Onde de Choc (Foto: O Vertigo)

Physisch ist auch der Ansatz von Onde de Choc (deutsch: Stoßwelle). Wo uns Moritz Gagern Instrumente physisch erleben lässt, liegt der Ansatz der Choreografie von Ginette Laurin darin, die Bewegungen ihrer Tanzkompanie in Klänge zu übersetzen. Ein parallel zur Bühne installierter Laufsteg spielt die Aktionen der Tänzer über Sensoren direkt in die Komposition. Die Musik von Michael Nyman pendelt zwischen Minimal Music und populären Elementen, Mike Oldfields Soundtrack zum Film The Killing Fields scheint manchmal durchzuschimmern. Die Choreografie arbeitet körperhaft, auf elementare Weise mit den Tänzern. Die Paare begegnen sich zärtlich oder auch in brutaler Härte, allmählich scheinen sich die Körper aufzuladen, der hochfrequente Puls der Tänzer wird über Stethoskope in den Sound eingespielt und bestimmt bald den Rhythmus der Musik. Auf dem Band werden Körper hin- und hergeschoben, brutal zusammengefaltet und letztlich vom Laufband geworfen. Am Ende kleiden sich Frauen und Männer (leider) bis auf den Slip aus, im Schlussbild tropft ihnen Theaterblut aus der Brust – großer Applaus für große Effekte!

Nach einem Bier in der Festival(Raucher)Lounge – ein dekoriertes weißes Zelt mit DJ on Stage – kann man den Abend bei Klanggestalten ausklingen lassen. Der Soundkünstler Simon Stockhausen und der Perkussionist Ketan Bhatti testen in diesem Programm interaktive Aktionen zwischen der Band Formelwesen und der daraus live generierten elektronischen Musik von Stockhausen. Die Stücke sind durchkomponiert und können sich dadurch von üblichen improvisierten Jazzarrangements absetzen. Ein anregender Ausklang im nächtlich erloschenen Hellerau.

Insgesamt kann man vor den diesjährigen TonLagen wirklich den Hut ziehen, das Thema Neue Musik wird auf professionellste Weise vielseitig beleuchtet ohne sich um die gängigen Kategorisierungen der Neuen Musik Szene zu kümmern.

TonLagen

Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik

Ascolta goes popular

12.10.2010, Feslltspielhaus Hellerau, Großer Saal

Konzert für 50 Wingongs und vier Spieler

13.10.2010, Festspielhaus Hellerau, Seitenbühne

Onde de Choc (Stoßwelle)

14.10.2010, Festspielhaus Hellerau, Großer Saal

Klanggestalten

14.10.2010, Festspielhaus Hellerau, Seitenbühne


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