Wie Sebastian Hartmann den Mannschen Zauberberg erklomm
Schräg gestellte, kahl-weiße, fast eisige Wände begrenzen die hermetisch abgeschottete Welt des Zauberbergs in Leipzig. Das gefährliche Bühnenbild, von Regisseur Sebastian Hartmann und Clementine Pohl entworfen, gleicht der epischen und philosophischen Vorlage Thomas Manns. Der Zauberberg, eine unsichere Gedankenwelt, in welcher man sich vorsehen muss nicht abzurutschen. Wer sich in dieses Terrain begibt muss den Fall in Kauf nehmen, oder verlässt es über Kletterseile.
Einen fünfstündigen Theatermarathon, der einiges Kopfschwirren verursachte, seinen Zuschauern aber auch eindruckvolle Bilder und Gerüche (Nebel, Zigaretten, auf der Bühne zubereitete Gulaschkanone) bescherte, bugsierte Sebastian Hartmann, am 6. Oktober, im Leipziger Centraltheater auf die Bühne. Entgegen unzähligen Erwartungen ist die Inszenierung keine provokante Verfremdung des Originals. Weitgehend texttreu, jedoch radikal verkürzt, präsentiert Hartmann nicht nur eine Konzentration von Zitaten, sondern schöpft aus der Tiefe der Buchvorlage. Er arbeitet markante Textstellen und -fetzen mit ein und bringt trotz der epischen Breite und dem philosophischen Ballast des mannschen Werks die Zuchauer immer wieder gewollt zum Lachen. Die Gradwanderung zwischen Parodie und tiefgründigem Philosophieren, welche dem Roman schon innewohnt, gelingt Hartmann mit seinem Ensemble auch auf der Bühne. Dabei nimmt er den Zauberberg nicht auf die leichte Schulter, was in der Gedankentiefe der Dialoge spürbar ist.
Zentrale Motive des Werkes übernimmt Hartmann. Die Zeit, um welche sich auf dem Zauberberg alles und doch nichts dreht, wird in Leipzig von den sechs Regeln, welche das Publikum im Programmheft nachlesen kann, dominiert. Die Erotik, spiegelt sich in den vielfältigen Beziehungen der Angestellten und Insassen des Sanatoriums wieder. Deutlich zeigt sich dies, nach dem Dr. Krokowski (Janine Kreß), mit viel Pathos in der Stimme einen Vortrag über die Liebe als Krankheit gehalten hat. Wie voraus zusehen war, gehen sich nach diesem alle gegenseitig an die Wäsche. Und auch die innige bis intime Beziehung der Vettern Hans Castorp (Guido Lambrecht) und Joachim Ziemßen (Maximilian Brauer), beide in ihrer Rolle sehr gut und glaubhaft angelegt, wird immer wieder sehr liebevoll nachgezeichnet. Häufige Berührungen, Umarmungen, Streicheleinheiten und das gegenseitige Halten der Gesichter in den Händen, betonte deren Zuneigung mehr als deutlich.
Zwei Pausen sollen den Zuschauern die Länge der Vorstellung etwas erleichtern. Diese sind, so hat es den Anschein, um den zweiten, philosophisch sehr gehaltvollen Teil herum gebaut. In diesem kommt es zum Streitgespräch der beiden Antipoden Settembrini (Peter Rene Lüdicke, wenig italienisch charmant) und Naphta (Ingolf Müller Beck). Ein Kochduell der stillen Gerüche, bei dem kein Wort gesprochen, ausschließlich stumm gekocht wird, leitet das ganze ein. Man sieht sie schnippeln, hacken, würfeln und schütten. Gemüse, Kartoffeln, Fleisch und viel Rotwein wandern in den Kochtopf. Und erst nach Vollendung der Gulaschkanone beginnen die beiden sich mit Worten und Waffen zu duellieren.
Das Darstellungsprinzip, innerhalb des Streitgesprächs von der Textvorgabe abzuweichen, um das Verständnis für die Zuschauer zu verbessern, hätte eine positive Wirkung erzeugen können. Leider macht es Peter Rene Lüdickes unaufhörliches Geschrei und wildes, fast irres Gestikulieren schwer, dem Inhalt des gesprochen Wortes zu folgen. Befremdlich empfindet man die Darstellung des im Werk eher sympathischen Italieners. Man fragt sich, warum immer noch der Irrglaube vorherrscht, man könnte Ausdruckskraft und Wirkung mit Lautstärke ersetzen.
Interessant und widererwartend zutreffend ist die Einarbeitung der sechs Regeln für den Fight Club aus dem gleichnamigen Film. Diese beziehen sich auf einen Untergrundboxclub, in welchem sich der Durchschnittsmann mit anderen, ohne juristische Konsequenzen prügeln kann. Übertragen von Hartmann lautet die erste Regel für den Zauberberg, „Es verliert keiner ein Wort über die Zeit“. Die geheime, abgeschottete Welt des Fight Club spiegelt sich auch im Zauberberg wider. Jeder gegen jeden, aber ohne einander wären sie nichts – konspiratives und produktives Miteinander.
Das Hauptaugenmerk des Filmes liegt auf den beiden zentralen Figuren Tyler und Jack, welche, was sich am Ende herausstellt, ein und dieselbe Person sind. Auch den Vettern Castorp und Ziemßen wird eine, von Thomas Mann so beabsichtigte Seelenverwandtschaft nachgesagt. Vielleicht wollte Hartmann diese mit Bezug zum Film nochmals unterstreichen.
Das ganze erreichte seinen Höhepunkt mit dem Auftritt Maximilian Brauers als Brat Pitt–Double (Tyler). In lässiger Jeans, mit aufgeschlagener Wange, dunkler Sonnenbrille und den Worten: Ich bin hier, um „die Sache zu Ende zu bringen“, betrat der Jungschauspieler die Bühne und bestach mit seiner humoristischen Darbietung des Alter-Egos der Hauptperson des genannten Filmes. Dargestellt wird die finale Szene des Films, welche dieselbige in der Inszenierung einleitet. Auffallend gut passen, die von Hartmann gewählten Filmsequenzen in die Welt des Zauberbergs und die gezogenen Parallelen eröffnen einem neue Betrachtungsebenen, auch für die mannsche Romanvorlage. Eine gelungene Verknüpfung.
In der Gesamtheit betrachtet, stellt man bis zum Schluss eine hervorragende schauspielerische Leistung, mit hoher Ausdauer, Energie und Spannung, beim hartmannschen Ensemble fest. Ausdauer auch auf Seiten der Zuschauer, denn der Saal des Centraltheaters blieb bis zum Ende des Stückes fast komplett gefüllt.
Der Zauberberg
Nach dem Roman von Thomas Mann
Centraltheater
R: Sebastian Hartmann
Mit: Rosalind Baffoe, Manolo Bertling, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Matthias Hummitzsch, Janine Kreß, Guido Lambrecht, Ingolf Müller-Beck, Peter René Lüdicke, Birgit Unterweger
Premiere: 6. November 2010
Kommentar hinterlassen