Der Mensch, er spielt

In ihrem neuen Tanzstück „Signal to noise“ konfrontiert Irina Pauls das Individuum mit der Notwendigkeit sich spiegeln zu müssen

Ein Stück von einem Individuum, das kein Individuum mehr ist (Foto: Rolf Arnold)

Die Stadt ist leer, die Häuser sind verlassen. Das Leben, wo sind die Menschen hin? Thomas Maucher tanzt und spielt einsam die Premiere von Signal to Noise am 17. November im LOFFT. Als einziger Überlebender verbleibt er in der Welt. Was nun?

Ein Film leitet das Stück ein, Bilder einer verlassenen Stadt werden an die Bühnenwand projiziert. Der letzte Mensch steht daneben und sieht zu. Auf der Bühne befinden sich er und drei Holzgitter, Fernseher, eine Kamera, ein Mikrophon und Kabel über Kabel. Für die leere Welt ist erstaunlich viel Technikspielzeug übrig geblieben.

Maucher beginnt. Alleine spielt er mit sich Himmel und Hölle auf den am Boden liegenden Holzgittern, baut danach diese zu einem Gerüst auf. Ein Holzgitter, aus vier Quadraten bestehend, bleibt frei, und es wird für ihn ein Haus, das er durchsteigt, dreht, wendet, weiter durchsucht, nach Leben. Er sucht die Bühne ab, jede Ecke, jeden Winkel, stetig konstatierend: „Hier ist niemand.“

Es ist ein ruhiges Stück geworden, mit viel Situationswitz und tiefer Traurigkeit, von einem Individuum, das kein Individuum mehr ist, da es keinen hat, von dem es sich als Ganzes unterscheiden könnte.

Filmprojektionen (Video: Fabian Bechtle) zeigen die leeren Szenerien, durch die Maucher wandert und über die er klettert, immer auf der Suche, hisst er in der Einöde seine Flaggen: ein Bauarbeiterhelm, ein Hemd, eine Plane. Vielleicht sieht jemand die Zeichen?

Selbstgespräche auf der Bühne. Der Mensch verfasst über ein Diktaphon Nachrichten an sich selbst. Er spielt die Anrufe ab und antwortet. Zeichen, die er sich sendet, um sich von seiner Existenz zu überzeugen.

So steht er vor neuen Problemen. Wenn ein Baum im Wald umfällt, und keiner war da, hat der Baum dann ein Geräusch gemacht? Ebenso: Wenn ein Mensch in der Einöde spricht, hat er dann überhaupt gesprochen? Wer kann seine Aktion nachweisen, wenn ihn keiner gesehen oder gehört hat?

Irina Pauls hat hier ein Stück inszeniert, das einen desto mehr erstarren lässt, je mehr auf der Bühne geschieht. Und doch ist es geradezu absurd, wie belustigend die verzweifelte Ruhelosigkeit des Tänzers wirken kann. Es wirkt albern, wenn sich Maucher als Bauarbeiter verkleidet und seinen behelmten Kopf rhythmisch gegen das Gerüst wirft. Doch das Private, das sich wie ein Mantel über die Bühne legt, ist unleugbar und lässt das Publikum in Nachdenklichkeit zurück.

Die Verzweiflung des letzten Menschen nimmt Überhand. Stets auf der Suche nach sich selbst, überall feststellend: „Da ist niemand.“ Er tanzt, er läuft, er springt, und versucht immer wieder eines: Schlafen. Doch der Schlaf bleibt ihm verwehrt. Ermüdung in Verbindung mit rastlosem Dasein. Im Video verbrennt der letzte Mensch seine Flagge. Auf der Bühne wirft er Zettel durch den Raum, auf denen wieder und wieder „Schlaf“ geschrieben steht. Zu guter Letzt hebt er das Holzgitter auf und durchsteigt, dreht, wendet es, durchsucht es, weiter und weiter, nach Leben.

Das Schrecklichste ist das Faszinierendste, das Traurigste das Schönste. Der Abend verwirrt und stimmt nachdenklich. Und raus aus dem Saal geht jeder als Individuum. In die Welt geht jeder als der letzte Mensch.

Signal to Noise

Tanzstück von Irina Pauls

D: Thomas Maucher

Premiere: 17. November 2010, LOFFT Leipzig

www.leipzigertanztheater.de

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