Klage und Hoffnung

Krzysztof Penderecki feiert mit dem „Polnischen Requiem“ den Tod und das Leben

„Man darf nicht lügen“: Krzysztof Penderecki (Foto: Katharina Freiberger)

Leben und Werk Krzysztof Pendereckis sind nicht zu trennen: „Man darf nicht lügen. Der Komponist soll machen, was er für richtig hält.“ Künstlerpersönlichkeiten wie Krzysztof Penderecki, welche eigene Herkunft, eigenes Erleben unmittelbar in ihren Werken reflektieren, erreichen das Publikum intensiv und selbstverständlich. Penderecki begreift das eigene Schaffen als einen steten Prozess, welcher sich verändert und unabhängig von den Ismen dieser Welt lebenslang den wahren Ausdruck sucht. Er hat damit ein faszinierendes und lebendiges Werk geschaffen. Die Freiheit, sich zur Suche, zur Veränderung zu bekennen, gelingt nicht vielen Künstlern. Giacinto Scelsi nannte sich deshalb lebenslang Klangforscher. Wo Scelsi sich ganz mit der Grammatik der einzelnen Töne beschäftigte, steht bei Penderecki das Arbeiten an selbst erlebter, geschichtlicher Wirklichkeit im Fokus.

Wie kein anderer polnischer Künstler des 20. Jahrhunderts hat Krzysztof Penderecki die Hochs und Tiefs des polnischen Volkes in nahezu chronologischer Weise verarbeitet. Sein polnisches Requiem steht dafür exemplarisch. Über die Musik als Träger der erlebten Gefühle verarbeitet das Werk u. a. die Niederschlagung des Danziger Aufstandes 1970 und die Heiligsprechung des polnischen Franziskanermönches Maximilian Kolbe, der 1941 freiwillig, anstelle eines Familienvaters, in Auschwitz den Weg in den Tod nahm. Aber auch sehr persönliche Erlebnisse wie der Tod seines Freundes und Förderers Kardinal Stefan Wyszynski und die Begegnung mit Papst Johannes Paul II sind Impulsgeber des Requiems.

Krzysztof Pendereckis Requiem ist kein in Beton gegossenes Werk, der Komponist hat es ständig fortgeschrieben, vorerst letzter Baustein dieses Prozesses war die Ciaconna im Jahre 2005 in Gedenken an Papst Johannes Paul II. Er weicht zudem vom „regulären“ Text eines Requiems ab und versucht dadurch seiner persönlichen Glaubensauffassung Ausdruck zu geben. Pendereckis Totenmesse schließt mit „Fac eas, domine, de morte transisre ad vitam“ – die erneute Anrufung Gottes als die Gewissheit auf ein den Tod überwindendes Leben! Hier verbindet sich tiefe Religiosität mit dem Intellekt des Künstlers, Religion und Kunst als zutiefst menschliche Ausdrucksformen den Tod zu begreifen.

Musikalisch bewegt sich das Werk im Gesamtkosmos Krzysztof Pendereckis. Ein Zitat aus dem polnischen Kirchenlied Swiety Boze, deutsch: Großer Gott dient als musikalisches Initial der prägnanten rhythmischen Partitur. Krzysztof Penderecki arbeitet mit motivischen Signalen ebenso wie mit schlichten kontemplativen Momenten. Dicht gearbeitete Flächen werden zerfurcht von beschleunigten rhythmischen Aktionen. Geräuschhafte Aktionen kontrastieren die gereifte polyphone Satzkunst. Der MDR-Chor erklimmt stimmliche Gipfel, bereits in Kyrie zu Beginn strahlen die Stimmen in höchster Professionalität. Die mehrstimmigen à cappella Aktionen schimmern in einer blendenden Vielschichtigkeit. Eindringlich auch die Solisten des Abends, besonders Tenor Rafal Bartminski trifft mit der Farbigkeit seiner Stimme die Ambivalenz zwischen innerer Bedrängnis und tiefer Hoffnung. Die versierten Schlagzeuger des MDR versetzen das Ingemiso mit konzentrierten perkussiven Aktionen in ein Stück glühender Musik. Im Agnus Die spielt das Orchester die solistischen Qualitäten der einzelnen Stimmen heraus, im Großen auf das wesentliche beschränkt schimmern die Bratschen in satten Farben. Der rein instrumentale Teil des Agnus Die erreicht eine betörende Unmittelbarkeit.

Der Paukenschlag des heutigen Abends ist allerdings, dass der Schöpfer dieses Tonkunstwerkes selbst am Pult steht. Mit einer beeindruckenden Lebendigkeit bedient sich der fast 80 Jahre alte Krzysztof Penderecki der wunderbaren Solisten, des herausragend motivierten MDR-Orchesters und des stimmlich unerreichbaren MDR-Rundfunkchores. Energisch und kraftvoll gestaltet er den verzweifelten Aufschrei, subtil arbeitet er hoffnungsvolle Momente heraus. Die Ernsthaftigkeit der Interpretation stellt klagende Momente neben hoffnungsvollen Aufbruch, aus dem Grundansatz eines Requiems, um die Toten zu trauern/zu klagen, generiert Krzysztof Penderecki in Werk und heutiger Interpretation eine Feier des Menschen und des Lebens. Ein wirklich hoffnungsvoller Start ins musikalische MDR Jahr 2011.

3. MDR-Konzert Reiheins: Polen

Krzysztof Penderecki: Polnisches Requiem für vier Soli, Chor und Orchester

Dirigent: Krzysztof Penderecki

Sopran: Izabella Klosinska

Mezzosopran: Agnieszka Rehlis

Tenor: Rafal Bartminski

Bass: Piotr Nowacki

MDR Sinfonieorchester und Rundfunkchor

15. Januar 2011, Gewandhaus Großer Saal

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