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In „The Green Wave“ geht Regisseur Ali Samadi Ahadi in aufwühlender Weise jener Frage nach, die Millionen Iraner bis heute keine Ruhe lässt

Eine Mischung aus Comic- und Realfilmschnipseln (Bilder: Camino Filmverleih)

In den vergangenen Wochen wurde die mediale Berichterstattung von den Geschehnissen in der arabischen Welt dominiert, wo sich die Menschen in lauffeuerartigen Protesten gegen ihre autokratischen Regierungen in Ägypten, Tunesien, Algerien, Jordanien und dem Jemen auflehnen.

Auch im Iran gab es vor nicht allzu langer Zeit solche Proteste. Ein Land, das dem Westen mit seinen permanenten Versuchen des Atombombenbaus, angeheizt von einem ultrakonservativen, cholerischen Präsidenten, große Sorge bereitet. Ein Land, in dem in wenigen Dekaden dramatische politische Umbrüche stattfanden und die Menschen sowohl von religiösen als auch von monarchischen und vermeintlich demokratischen Autoritäten mit ihren Hoffnungen immer wieder, auch von globaler Seite, im Stich gelassen und betrogen wurden.

Das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte die Präsidentschaftswahl im Mai 2009, in der sich der Amtsinhaber Ahmadinedschad und der Reformer Mussawi gegenüberstanden. Entgegen aller Prognosen und Erwartungen verlor Mussawi. Wahlbeobachter sprachen von massivem Betrug.

Genau hier setzt der dokumentarisch angelehnte Film The Green Wave des gebürtigen Iraners Ali Samadi Ahadi an. Bedingt durch fehlende Drehgenehmigungen und dem Wunsch nach schnellstmöglicher und damit aktueller Reflexion des Geschehens setzte der Regisseur auf ein ungewöhnliches Konzept. Statt in der Form eines klassischen Spielfilms erzählt Ahmadi in einer Mischung aus Comic- und Realfilmschnipseln die fiktive Geschichte zweier junger Teheraner Studenten. Modell hierfür standen Pegah Ferydoni und Navid Akhavan. Hinzu kommen Interviews mit realen Personen, darunter die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die Journalistin Mitra Khalatbari und der Blogger Mehdi Mohseni.

Aus diesen Fragmenten versucht Ahadi, ein dramaturgisches Mosaik zusammenzufügen – was ihm gelingt. Symbolisch und zugleich praktisch war dabei die Nutzung diverser Handyvideos, die ihren Weg trotz Informationssperre zu YouTube und Twitter fanden. Nicht zuletzt waren es solche Plattformen, die dem iranischen Volk als Sprachrohr dienten, als der Staatsapparat auf die „Grüne Revolution“ mit weiteren Menschenrechtsverletzungen reagierte.

Die verschiedensten Phasen des iranischen Wahldebakels von 2009 lassen sich gut nachempfinden.
Zuerst die einer Aufbruchsstimmung gleichende Euphorie, die anschließende Enttäuschung und der Versuch, in friedlichen Demonstrationen beharrlich auf eine legitimierte Demokratie zu pochen. Die Antwort des Regimes: Verhaftung, Folter und Mord.

Wer Waltz With Bashir gesehen hat, wird große Vertrautheit beim Anblick der statischen Zeichnungen empfinden. Die verschiedensten Abschnitte der Handlung sind mit derselben Rauheit in Szene gesetzt. Und genau das macht es schwer, bei all den umherfliegenden Gewehrkugeln, schwingenden Militärknüppeln und diabolischen Gefängnisszenen hinzusehen. Es ist nur logisch, dass ein iranisch-stämmiger Regisseur so klar und deutlich wie möglich über die grüne Revolution als nationale Herzensangelegenheit berichten möchte. Doch stellt sich die Frage, ob selbst informativ-dramatisches Kino derartig brutal in Szene gesetzt werden muss. Ahadi probiert einen Drahtseilakt zwischen Dokumentation und Anklage. Dabei schießt er aufgrund der eigenen Befangenheit mit den Bildern und der erzählerischen Länge phasenweise über das Ziel hinaus.

Noch einmal ist Blogger Mohseni zu sehen. Dem Exiliraner kommen die Tränen bei dem Gedanken daran, dass einige seiner deutschen Altersgenossen, die ihre samstägliche Freizeit so unbeschwert genießen, vielleicht nicht einmal wissen, wo der Iran überhaupt liegt. Vielleicht wissen diese Jugendlichen auch nicht wo Ägypten, Tunesien oder der Jemen liegt. Vielleicht machen eben deshalb solche Filme wie The Green Wave Sinn. Ganz bestimmt sogar.

The Green Wave

Deutschland 2010, 80 min

Regie: Ali Samadi Ahadi, Mitwirkende: Pegah Ferydoni, Navid Akhavan, Dr. Shirin Ebadi, Prof. Dr. Payam Akhavan, Dr. Mohsen Kadivar, Mehdi Mohseni, Mitra Khalatbari

Kinostart: 24. Februar 2011


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