Christopher Köhler bringt mit „Angriffe auf uns“ sein Regiedebüt auf die Bühne der Cammerspiele
Die Luftballons sind das erste, was ins Auge sticht. Sie liegen, prall aufgeblasen, in einem grünen Netz, das sich über der Bühne spannt. Dort warten sie auf ihren großen Moment, ein Spektakel werden sie begleiten, sich schwebend, bunt, federleicht gen Bühnenboden bewegen und der krönende Abschluss eines ganz besonderen (Bühnen-)Moments sein. Denkt man. Dafür sind sie ja auch da, die Ballons, warten in dem gut gefüllten Netz, bis der Mann / die Frau am Technikpult wie von Zauberhand den bunten Regen einleitet. Nicht so in dem Stück Angriffe aus uns, dem Regiedebüt des jungen Theaterwissenschaftsstudenten Christopher Köhler (Co-Regie: Lisa Günther), welches in den Cammerspielen Premiere feierte, und zu der Reihe des Nachwuchsförderungsprojekts „New Cammer“ gehört. Denn dort werden die bunten Bälle vergeblich auf ihren Auftritt warten, obgleich sie erwartungsweckend, fast schon höhnisch, über der Bühne verharren.
Angriffe auf uns ist nicht nur ein Stück, welches ganz bewusst mit der Erwartungshaltung der Zuschauer spielt, sondern stellt auch einen (Selbst-)Versuch dar: Wie geht man um mit seinem Leben und sich selbst in einer Welt die einem ständigen Wandel unterzogen ist, in der man alles live miterleben kann, und doch nirgends wirklich dabei ist? Dieser Frage gehen die vier Schauspieler in einem wortwitzigem und intensiven Gewirr auf den Grund, und versuchen sich dabei an so manchen Formen und Mitteln des Theaters: Live-Übertragungen des Gespielten auf eine Wand erzeugen ein Gefühl von Nachrichtenberichterstattung und ein grandios überzeugend gespielter Monolog (Karsten Zahn) in dem verschiedene Figuren schlagartig das Wort ergreifen, scheint die Vielfalt der Rollen zu zeigen, die der Mensch in unserer hochdifferenzierten Welt einnehmen muss.
Im Zentrum der ganzen Handlung steht – angelehnt an Martin Crimps Stück Attempts on Her Life – eine geheimnisvolle Frau, nur ihr Name ist bekannt. Keiner wird sie zu Gesicht bekommen, doch die Vier auf der Bühne stecken all ihre Hoffnungen in diese Person. So kommt es zu einem Schaffensprozess, an welchem sich jeder mit vollem Körpereinsatz beteiligt: wie ist diese Person, wer ist diese Person? Und was ist ihr Leben? Sie projizieren ihre Erwartungen, Hoffnungen, ja: Utopien auf die Unbekannte und schaffen so ein Bild von ihr, welches sie stetig weiterentwickeln, um am Ende doch nichts über sie zu wissen. All dies erfolgt in einem sehr gut durchdachten Aufbau, und hält immer neue Ideen und überraschende Wendungen breit, so dass am Ende ein ganz außergewöhnliches Theaterstück entsteht, welches viele Potenziale in sich birgt. Auch die gelegentlich vorkommenden Texthänger tun dem keinen Abbruch.
Während des Stückes verschwimmen die Grenzen zwischen den Darstellern und ihren Rollen zusehends. Befremdlich wirkt die Tatsache, dass sich die Schauspieler stets mit ihren echten Namen anreden, und doch eine Rolle spielen, aus welchen sie jedoch jederzeit ausbrechen können. So kommt es, dass sich bei improvisierten Szenen, die von Ironie und Nonsens leben, die Grenzen zwischen Spiel und Realität vollends aufheben. Die Darsteller interagieren mit dem Publikum und scheinen so das gewohnt passive Verhältnis zwischen Zuschauer und Theater in Frage zu stellen. Dabei kann der Zuschauer zum Beispiel auf eine ziemlich witzige Weise beobachten, dass Sekt – der während des Stückes gern und viel getrunken wird – in den Augen brennt, wenn man ihn sich über das Gesicht schüttet, und dass es nicht so einfach ist, ohne Finger mit dem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden (die zeitweise fingerlose Valeska Fuchs schafft es doch immer wieder – ob da alles mit rechten Dingen zuging?). Doch neben (und zwischen) den vielen witzigen Elementen scheint auch immer wieder die Ernsthaftigkeit durch, die das Stück eigentlich vorantreibt. So lässt eine Szene, in welcher sich die Darsteller in sensations- und kamerageile Reporter verwandeln, die Frage danach aufkommen, wo die Grenze zwischen Leben und Kunst verläuft und ab welchem Punkt ein Mensch nicht mehr Mensch, sondern Kunstwerk ist. Immer wieder drängen sie sich abwechselnd vor die Kamera, spekulieren, mutmaßen, diskutieren. Auch das Stück an sich scheint eine große Diskussion zu sein, eine Diskussion zwischen den Schauspielern, zwischen Schauspielern und Zuschauern und eine Diskussion die jeder mit sich selbst führen muss. Worüber genau bleibt dabei offen.
Angriffe auf uns
R: Christopher Köhler
Mit: Valeska Fuchs, Tim Josefski, Helena Wölfl, Karsten Zahn
Premiere: 14. April 2011, Cammerspiele
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