Galaktisches Welttheater

Dem Lauf der Sonne folgen: In Köln wurde aus Stockhausens Licht-Zyklus der Sonntag zur Uraufführung gebracht

Szene LICHTER – WASSER: Hubert Mayer (Michael) (Fotos: Klaus Lefebvre / Oper Köln)

Nun endlich hat die Stadt Köln (ihren) Karl-Heinz Stockhausen mit der Uraufführung des letzten Teil des Licht–Zyklus Sonntag einen großen Triumph bereitet, leider posthum – der Pionier der Neuen Musik ist ja bekanntermaßen 2007 verstorben. Karl-Heinz Stockhausen hat an seinem Licht-Zyklus von 1977-2003 gearbeitet. Der Vergleich mit Wagners Ring liegt nahe, auch hier hat ein Musiker eine utopische Totale verfolgt, wobei Wagner freilich durch die manische Realisierung seiner Festspielidee die Rezeption des Werkes sehr stark geprägt hat. Die Rezeptionsgeschichte des Licht-Zyklus ist im Unterschied zu Wagners Ring sehr durch die verschiedenen Handschriften des Inszenierungsteams der beiden Häuser in Mailand (Donnerstag, Samstag und Montag) und in Leipzig (Dienstag und Freitag) und was überdies sehr reizvoll ist, sehr durch die sich ändernden Sichtweisen auf das Werk Stockhausens geprägt. Auch die veränderten technischen Möglichkeiten prägen die Rezeptionsgeschichte nicht unerheblich und in dieser Beziehung erweist sich die Wahl der spanischen Theaterartistentruppe La Fura dels Baus als wirklicher Höhepunkt. Wo die bisherigen Inszenierungen am Bilderlosigkeit litten setzt La Fura dels Baus seine bekannte knallige Sprache, die technokratische Bildfindung geht den zum Teil fast infantilen Gedankengebäude Stockhausens nicht auf dem Leim und schafft dadurch die nötige Distanz zum galaktischen Welttheaters des Komponisten.

Die erste Szene „Lichter-Wasser“ stellt zwölf Himmelskörper unseres Sonnensystems vor, die Bewegungen des Universums spiegeln sich in ausgreifenden musikalischen Aktionen, Musiker wandeln durch den Raum. In dem Rundraum des ersten Teils liegen die Zuschauer

Ganz entspannt in weißen Liegestühlen, an der Decke bewegen sich flugzeugähnliche Elemente, zusätzlich nehmen Projektionen an Wänden und Decken einen mit auf eine galaktische Reise. Ganz im Personalstil Stockhausens kreist im Hintergrund immer eine Sphärenmelodie, endlose Linien werden geschichtet und verändert, bevor sie sich irgendwann wieder treffen.

Szene DÜFTE – ZEICHEN

Die folgende „Engel-Prozession“ ist ein À-Capella-Stück für sieben Chöre. In sieben Sprachen wird Gott gelobt, Gotteslob ist Freude, wie Freude nach Stockhausen auch das Lebenselement von Engeln ist. Der Text hier nur als phonetisches Material, Ergänzung der Texte durch Pfeifen, Summen, Schnalzen, Gigeln und Grummeln. In wunderbarer Weise entwickeln die Chöre verschiedenste Formen, um Freude auszudrücken. Der Rundraum ist jetzt abgedunkelt, Dirigent James Wood mit leuchtenden LEDs an den Handgelenken wird auf einem fahrbaren Podest durch den Raum bewegt, die Chöre selbst sind auch gleichsam mit LED-Leuchten ausgestattet – eine lichte technische Prozession.

Der dritte Teil spielt im zweiten Aufführungsort – ein klassischer Schuhkarton, die Bühne übermäßig tief, Sänger und Tänzer bewegen sich in einem Wasserbecken. „Bilder“ ist eine subtile Kammermusik aus den Paaren Tenor-Trompete und Bassklarinette-Flöte. Stockhausen hat sich zu dieser Szene Lichtbilder gewünscht. Sieben Sphären des Lebens werden besungen – Steine, Pflanzen, Tiere, Elemente, Himmelskörper, Heilige und Gott. In der Bebilderung schießt die Inszenierung über das Ziel hinaus. Hinter einer 3D-Brille sitzend strömt eine entfesselnde Welt auf die Zuhörer ein: aus Delphinen werden Spinnen, aus amorphen Massen kopulierende Wesen. Wirklich zu viel, am besten man schließt die Augen, um die Musik genießen zu können.

Zu der nächsten Szene „Düfte-Zeichen“ werden dann noch die Geruchssinne mit einbezogen, in einem Rückblick auf die sieben Tage des Licht-Zyklus erhält jeder Tag einen Duft. Sänger und Tänzer entzünden verschiedenste Feuerreifen, Wasserschleier fallen von der Decke, Bilder werden projiziert – kurzum eine effektvolle Show im knöcheltiefen Wasserbecken. Wie in der katholischen Kirche werden die jeweiligen Düfte unters Volk gebracht.

„Hoch-Zeiten“, die letzte Szene, soll die Synthese des gesamten Zyklus sein. Es geht um die Feier der ehelichen Vereinigung, eben um eine hohe Zeit. Die mythische Vereinigung von Eva und Michael wird mittels fünf Chorgruppen und fünf Orchestergruppen inszeniert. Eine dicht gewobene Polyphonie in einem schier unendlich linearen Phantasieren, doch Stockhausen hält die Form, nicht in romantischer Höhe sucht er den Abschluss, sondern in einer fassbaren strukturierten Leidenschaft, welche Raum lässt für Weiterungen und nichts erdrückt durch monumentale Aufblähungen. Die letzte Szene spielt simultan in den beiden Aufführungsstätten, sie läuft zweimal jeweils für die eine Hälfte des Publikums. Im Rundraum hat La Fura dels Baus die Bilder ins Monumentale aufgebläht, die Liegestühle sind zu riesigen Rädern verkettet, in einem Design zwischen Enterprise und heidnischen Götzenfesten wälzen und winden sich rauschhaft die Leiber. Der Chor wird hier im Rundraum nur eingespielt. Im Schuhkarton erleben wir die „musikFabrik Köln“ in einer wunderbar durchhörbaren Musik, über Videoprojektionen werden die Tollereien des Rundraums präsent. Regisseur Carlus Padrissa visualisiert durch diesen Aufbau das Einmaleins der Liebe: 1 + 1 = 1 – zwei Teile und doch eins, Annähern und Entfernen.

Dann gegen 21.00 Uhr ist es plötzlich vorbei, das Publikum strömt aus dem Staatenhaus Richtung Rhein, die Sonne, welche zu Beginn um 12.00 Uhr hinter dem Staatenhaus stand versinkt jetzt gerade im Rhein. Die Aufführung hier in Köln an einem Sonntag quasi gleichsam im Verlauf des Tages und der Sonne an diesem wundervollen Frühlingstag zu erleben, kann man ganz im Sinne Stockhausens als galaktisches Theater bezeichnen.

Sonntag aus Licht – Gesamtaufführung

Oper von Karlheinz Stockhausen in fünf Szenen und einem Abschied

Musikalische Leitung : Peter Rundel / Kathinka Pasveer

Inszenierung: Carlus Padrissa (La Fura dels Baus)

Uraufführung: 1. Mai 2011, Oper Köln im Staatenhaus


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