Right behavior

Sebastian Börngen lässt in seiner Spinnwerkproduktion „Wenn Sie das schon machen müssen, dann tun Sie es bitte zu Hause! Ein Volksfeind“ die Gerechtigkeit gegen den Gemeinsinn ankämpfen

Mit Leidenschaft und viel Spaß an der Sache (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Wie in einer alten Slapstick-Komödie hetzen die Schauspieler über die Bühne, verschwinden in den vielen Türen, die das Bühnenbild hergibt, und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Aber sie begegnen sich nie – kommt der eine auf die Bühne, ist der andere soeben wieder verschwunden. Das geht eine ganze Weile so, die beweglichen Bühnenwände lassen auch allerlei Wege zum Kommen und Gehen offen. Dazu: flotte Tanzmusik, Swing. Mit dieser wilden, geschäftigen Szene beginnt das Stück Wenn Sie das schon machen müssen, dann tun Sie es bitte zu Hause! Ein Volksfeind. Doch die Produktion des jungen Regisseurs Sebastian Börngen, welche im Spinnwerk Premiere feierte, ist keinesfalls als Komödie angelegt. Vielmehr beschäftigt sie sich mit der Frage nach gesellschaftlichen Zwängen, der Singularität des Individuums und damit, wann man seine persönlichen Interessen zum Wohle der Allgemeinheit aufgeben müsse. Zur Hilfe nimmt sich Börngen dabei das gesellschaftskritische Drama Ein Volksfeind des Norwegers Henrik Ibsen. Frei nach diesem Stück bringt der Regisseur eine Inszenierung auf die Bühne, die zwar durch den Gebrauch verschiedener Mittel und Ideen glänzt, aber in sich dennoch holprig und unrund wirkt.

Schon das Bühnenbild zeigt, dass die Zuschauer nun einen Einblick in den wohlhabenderen Teil der Gesellschaft bekommen werden. An Couch, Stuhl, Tisch und Kronleuchter hängen große Preisschilder, die Wohlstand bezeugen. Der Handlungsort des Originals von Ibsen – ein Kurort in Norwegen – scheint beibehalten worden, denn die Preise auf den Schildern sind in Norwegischen Kronen angegeben. Im weiteren Verlauf der Aufführung spielt der Ort jedoch keine Rolle mehr. Die Handlung – so wird durch das bewusste Ignorieren des Spielortes gezeigt – ist auf jede westliche Gesellschaft übertragbar, das Gezeigte kann sich überall so abspielen.

Nach dem dynamischen Start wird in allen Schauspielerkonstellationen lange und viel geredet. Lappalien wechseln sich mit aussagekräftigen Inhalten ab, welche jedoch in der Flut der Worte unterzugehen drohen. Überhaupt wird viel gesprochen: miteinander, mit sich selbst, zum Publikum. Und immer wieder wird der Text von den Grundfragen des Stückes durchzogen, jedoch, ohne auf den Punkt zu kommen. Die Handlung dagegen ist schnell erzählt. Der Badearzt und Wissenschaftler Thomas Stockmann hat eine Entdeckung gemacht, die sensationell ist: Das Wasser des Kurbades, welches dem Ort zu Wohlstand und Ansehen verholfen hat, ist mit Mikroorganismen verseucht. Diese Entdeckung will er nun zum Wohle der Stadt und ihrer Einwohner publik machen, und hat sich Journalisten geladen, um die Neuigkeit zu verkünden. Doch es entstehen Kontroversen, Thomas´ Bruder Peter, der Bürgermeister, sieht in der Nachricht nichts Gutes, schadet sie doch der Allgemeinheit mehr, als sie ihr Nutzen bringt. So kreist die Handlung des Stückes immer wieder um die Definitionen von Volksfreund und Volksfeind, um gutes und richtiges Handeln und um die Notwendigkeit der Anerkennung in der Gesellschaft.

Während ihres Spiels, das hauptsächlich aus einem ständigen Kommen und Gehen besteht, treten die Schauspieler auch immer wieder aus ihren Rollen heraus, und reden über das Stück. Gern wird dieses Mittel als ironische Abgrenzung vom Gezeigten genutzt, haben die Darsteller doch in ihren Rollen vorher noch davon geredet, dass es in der Gesellschaft immer häufiger zu Distanzierungen kommt, und keiner mehr die volle Verantwortung übernehmen will. So verlassen die Schauspieler beispielsweise in einer Szene allesamt die Bühne, und reden fernab der Blicke der Zuschauer weiter. Sie reflektieren ihr Tun und analysieren die Beweggründe für ihr Handeln:

„Sehen Sie sich zum Beispiel dieses Theater an. Früher hieß es, spielt gefälligst da, wo man euch auch sieht. Aber heutzutage denken wir, das wäre nicht authentisch, man würde nur eine Rolle, zur Freude und zum Nutzen für jemand anderen, spielen.“

Es sind vor allem die schauspielerischen Leistungen, welche hervorzuheben sind. Mit Leidenschaft und viel Spaß an der Sache verkörpern die insgesamt zwölf jungen Darsteller ihre Rollen. Peter, der Bruder des Badearztes Thomas und Bürgermeister des Ortes, wird von sechs Schauspielern gleichzeitig gespielt. Diese sprechen alle Passagen im Chor, wobei dies weder aufgesetzt noch auswendig gelernt klingt. Sie agieren alle auf ihre Weise mit dem Gegenüber, bilden aber eine organische Einheit. Hierbei scheint die Konzeption, die der Rolle zugrunde liegt, jedoch von einer gewissen Holprigkeit durchzogen. Stellenweise wirkt die Figur (in ihrer sechsfachen Ausführung) sogar widersprüchlich auf den Betrachter, der dann über Handlungen und deren Sinn nur spekulieren kann.

Dennoch macht es Spaß, den Schauspielern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Einzelne Szenen stechen durch viel Witz und Originalität hervor. So beispielsweise eine Szene, in welcher sich Paare für einen Tanz finden. Schnell mutiert die gesellige Beschäftigung jedoch zu einem wilden Briefe-hin-und-her-stecken. Denn der Brief, in welchem die Befunde der Wasser-Analyse nachzulesen sind, ist das Objekt der Begierde. Gesprochen wird nicht, nur nett gelächelt, Audio-Einspieler verraten jedoch die Gedanken der Einzelnen. Grotesk und dadurch spannend wirkt auch eine Szene, in welcher die Darsteller zu dem Schlager-Hit „Tausendmal Du“ der Münchener Freiheit tanzen und übertrieben leidenschaftlich – als bedeutete dieses Lied die Welt – performen.

Am Ende des Ganzen, bleibt nur noch die Masse stehen, alle Rollen laufen plötzlich über und die Schauspieler sprechen nun gemeinsam im Chor. Stehen bleibt auch der Zwiespalt zwischen dem selbstbestimmten Sein und der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Und dann ist da noch dieser Ohrwurm, der viele Zuschauer den ganzen Abend begleiten wird:

„Ich schau in deine Augen
Dein Geheimnis kann nur ich verstehn
Und ich fühle die Sehnsucht in mir
So wie duuuuu…“

Wenn Sie das schon machen müssen, dann tun Sie es bitte zu Hause! Ein Volksfeind

R: Sebastian Börngen
Mit: Shirin Amara, Anne Brüssau, Enrico Engelhardt, Nina Krake, Sophie-Luise Lenk, Diana Nitschke, Alexander Range, Konstantin Schimanowski, Moritz von Schurer, Linda Schymanski, Julian Voland, Laura Vorsatz, Martin Zeschke.

Premiere: 10. Juni 2011, Spinnwerk


Ein Kommentar anzeigen

  1. Theaterstück wie hier veröffentlichter Rezension sind an Dilettantismus nicht zu überbieten. Bei dem Theaterstück haben sich ausführende Kreative wie auch Schauspieler keinen Gefallen getan. Ich habe die Minuten bis zum Ende dieses prätentiösen Kasperletheaters gezählt und es waren viele viele Minuten zu viel. Dass hier gerade die schauspielerische Leistung gelobt wird, halte ich für besonders absurd.

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