Sich lieben, aber nicht können

Der neue Roman von Nino Haratischwili: „Mein sanfter Zwilling“ erzählt das Familiendrama um Stella und Ivo

Mein sanfter Zwilling ist einer dieser Romane, die man nach den ersten fünfzig Seiten nicht mehr aus der Hand legen kann. Eine hintergründige Spannung trägt die Geschichte von Stella und Ivo, zwei Menschen, die sich lieben, aber nicht lieben können. Warum sie nicht können, erfährt man erst auf den letzten Seiten. Erst nach dreihundert Seiten hat Nino Haratischwili alle Schichten des Familiendramas um Stella und Ivo freigelegt.

Stellas Vater hatte ein Verhältnis mit Ivos Mutter. Die beiden, noch im Kindesalter, werden zu Mitwissern dieses Verhältnisses. Das überfordert die Kinder, sie suchen Schutz bei einander. Bei wem auch sonst – Stellas Mutter und Ivos Vater dürfen ja nichts wissen. Hierin liegt der Beginn des Konflikts. Die unbedingte kindliche Loyalität den Eltern gegenüber wird zerstört, Stella und Ivo geraten aus den Fugen und werden ihr ganzes Leben lang sich selbst suchen müssen. In dieser Suche geraten Stella und Ivo immer wieder aneinander und ineinander und verstören auch zunehmend ihre Umwelt.

Nino Haratischwili hat in Mein sanfter Zwilling den Stoff für mehrere Romane untergebracht. In den zwei Familien, ihren unterschiedlichen Geschichten und jeweils eigenen Tragödien gibt es eine große Palette von spannenden Charakteren. Bizarre Lebenssituationen stehen geordneten erfolgreichen Vitas gegenüber. Und immer das Thema der Frau: Die Mütter versuchen ihre besondere Verpflichtung den Kindern gegenüber mit dem zu vereinbaren, was man so Karriere nennt.

Bis hierhin läuft die Geschichte eher unprätentiös. Leider braucht Haratischwili – oder glaubt zu brauchen – am Ende noch eine parallele Story, eine Art Spiegel der eigentlichen, um die Spannung aufzulösen. Ivo reist ins postkommunistische Georgien. Als Journalist recherchiert er über einen Georgier, der in der Umbruchzeit der neunziger Jahre seine Familie verloren hat. Auch hier Liebhaber und Betrogene. Dieser Teil des Romans erzählt zunächst viel, um die Situation in Georgien und die Familienstory erklären zu können. Leider geht dann die Brisanz verloren. Die spannungs- und farbenreiche Beziehung zwischen Stella und Ivo hat diese Story eigentlich nicht nötig.

Der Sprache des Romans merkt man die Dramatikerin Haratischwili an: „Ich wusste, dass er log, aber ich ließ es zu.“ Oder: „Ivo war schlau und eigenwillig, ich stur und fordernd.“ Kein Wort zu viel. Haratischwili beschleunigt den Plot. Dass das teilweise über das Ziel hinausschießt, tut dem insgesamt keinen Abbruch. Zum Beispiel hier: „Sie machten Liebe und ihre Liebe verschaffte ihnen keine Erleichterung, sie waren einsam in ihrem Zusammensein und versuchten zu vergessen, ineinander verschlungen, verzweifelt.“

Mein sanfter Zwilling ist ein Buch über das Verlieben, aber nicht zum Verlieben, dazu ist Nino Haratischwili zu rational, ist schnell am Set ohne sich ausschweifend mit dem Plot zu beschäftigen.

Nino Haratischwili: Mein sanfter Zwilling

Frankfurter Verlagsanstalt

Frankfurt – September 2011

379 Seiten – € 22,90


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