Küss den depressiven Frosch!

Rund neun Jahre hat man auf den neuen Roman von Jeffrey Eugenides gewartet. Leider ist „Die Liebeshandlung“ eine Enttäuschung

Immer diese Warterei. Genau wie sein Kollege Jonathan Franzen hat sich Jeffrey Eugenides neun Jahre Zeit genommen für die Fertigstellung seines neuen Romans. Franzen, dessen Roman Freiheit im Spätsommer des vergangenen Jahres erschien, hat jedoch zu Recht für viel Aufsehen gesorgt. Bei Jeffrey Eugenides hingegen stellen sich berechtigte Zweifel ein, wie angemessen die Lobhudeleien vieler Kritiker und die überwiegend positive Rezeption der Leser sind.

Die Handlung ist rasch nacherzählt: Wir befinden uns in den frühen Achtziger Jahren. Madeleine Hanna ist Studentin an einem Ivy League-College. Während sie sich anhand von Roland Barthes’ Fragmente einer Sprache der Liebe und den Romanen Jane Austens mit der Liebe literarisch und wissenschaftlich auseinandersetzt, gerät sie selbst innerhalb kürzester Zeit in amouröse Verstrickungen. Madeleine steht vor der Wahl zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern: Entscheidet sie sich für den charismatischen Leonard Bankhead oder den eher schüchternen Mitchell Grammaticus? Als das College vorbei ist und Madeleine sich scheinbar endgültig für Leonard entschieden und ihn geheiratet hat, tritt Mitchell eine spirituelle Reise durch Europa und Indien an. Erst mit seiner Rückkehr wird Mitchell bemerken, dass er doch noch eine zweite Chance haben könnte. Denn Leonards über die Jahre stärker werdenden Depressionen schaden der Beziehung mit Madeleine mehr als erwartet.

Dieser simple Plot ist auf über 600 Seiten durchaus kurzweilig, süffig geschrieben und über große Strecken auch unterhaltsam. Aber das macht Die Liebeshandlung bei weitem nicht zu einem guten Roman. Der Humor der Dialoge ist teilweise zum Davonrennen und nur ein Beweis für den bildungsbürgerlichen, elitär-konservativen Mief, der durch den gesamten Text weht. Weiterer Störfaktor ist das nicht enden wollende Namedropping, das zu Beginn durchaus noch als gelungene Parodie auf übertriebene studentische Wissbegier durchgehen mag. Madeleine liest natürlich nur die Romane von Jane Austen, Henry James, John Updike, Edith Wharton und Charles Dickens, damit Eugenides brav alle großen Namen abarbeiten kann. Wenn es um Madeleines Seminare geht, kennt auch dort Eugenides kein Halten bei Namen intellektueller Größen. Man darf seitenlang mitlesen, wie die Studenten mit ihrem Professor über Peter Handkes Wunschloses Unglück und Derridas Grammatologie sprechen. Der Mehrwert dieser Berichte über intellektuellen Leistungssport tendiert gegen Null. Als Zeugnis der universitären Denkweisen vor dreißig Jahren mag das ganz aufschlussreich sein. In einem Roman hat so etwas nichts zu suchen.

Mit den fremdschamlastigen Sexszenen gegen Ende des Romans hat sich Eugenides ebenso wenig einen Gefallen getan. Die Dinge werden demzufolge nur beim Namen genannt, wenn es nötig ist und an einer Stelle wird das weibliche Geschlecht – als gingen von ihm böse magische Kräfte aus – sogar als „Du-weißt-schon-was“ bezeichnet! Es wäre bei solchen Befremdlichkeiten nicht verwunderlich, wenn es dafür den alljährlich verliehenen „Bad Sex in Fiction Award“ gäbe. Wenn Eugenides mehr Humor als seine Romanfiguren besitzt, sollte er diesen Preis persönlich entgegennehmen.

Fernab der Kritik am Autor und seinen Fähigkeiten als Erzähler muss auch ein wenig mit den Übersetzern der deutschen Ausgabe ins Gericht gegangen werden. Mit Sicherheit musste ein so lang erwarteter Roman rasch übersetzt werden, bevor sich alle deutschen Leser lieber an der englischen Orginalausgabe versuchen. Nichtsdestotrotz gilt es, wenig glaubwürdige Übersetzungen wie „Du pfuscht mir in meine Agenda!“ zu vermeiden. Immerhin haben Uli Aumüller und Grete Osterwald mit Die Liebeshandlung ein sinnvolles deutsches Äquivalent zum im Englischen gebräuchlichen Fachterminus The Marriage Plot gefunden. Der „marriage plot“ steht für die immer wiederkehrende Handlungsebene der Eheanbahnung in Romanen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Eugenides’ Bewunderung für Jane Austen und alle anderen Romanautoren, die immer wieder davon erzählt haben, ist deutlich herauszulesen. Doch Austens Romane haben auch nach über 200 Jahren immer noch mehr Witz und Esprit als Eugenides’ gescheiterter Versuch, den „marriage plot“ in der jüngeren Vergangenheit durchzuspielen.

Jeffrey Eugenides: Die Liebeshandlung

Übersetzt von Uli Aumüller und Grete Osterwald

Rowohlt

Reinbek – Oktober 2011

624 S. – 24,95€


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