In „Gottfried Benn – Der Mann ohne Gedächtnis“ fügt Holger Hof den kanonisierten Bildern über Gottfried Benn bisher Unbekanntes hinzu
Holger Hof hat sich nach seinem Buch Benn – sein Leben in Bildern und Texten, das 2007 erschien, nun an eine neue Benn-Biografie gewagt. Im ersten Reflex fragt man sich, wozu es eine neue Benn-Biografie braucht. Und auch der Blick ins eigene Bücherregal bestätigt den Verdacht, dass es an Biografien über den 1957 in Berlin gestorbenen deutschen Dichter nicht mangelt. Hofs Versuch ist aber so einfach wie folgerichtig. Durch die sorgfältige Auswertung bisher unerschlossener Dokumente wie Benns Tagebuchkalender und bisher nicht bekannter oder auch unterdrückter Briefe hütet sich der Autor davor, gut bekannte Stereotype nachzukauen. Statt sich an der Genialität Benns zu berauschen, hält sich Hof an die überlieferten Fakten aus Benns Leben und kann somit, wer hätte das erwartet, durchaus ein neues Bild des faszinierenden Melancholikers zeichnen.
Hofs Biografie startet am Ende des Zweiten Weltkriegs, quasi am Tiefpunkt in Benns Leben. Als sich Hertha Benn, seine zweite Frau, am 2. Juli 1945 in Neuhaus das Leben nimmt, steht für Gottfried Benn die Welt still, monatelang bleibt sein Tagebuchkalender leer. Benn ist verstummt. Es sind diese zutiefst menschlichen Krisen, an deren Bewältigung Holger Hof Benns künstlerisches Schaffen ausmacht: Nach dem Krebstod seiner Mutter schreibt Benn die expressionistischen Morgue-Geschichte. Statistische Gedichte entstanden in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Sich an das ganz „normale“ Leben des Gottfried Benn zu halten, es beleuchtet zu haben, ist der Verdienst dieser Biografie. Das liest sich über manche Strecke nicht so flüssig wie zum Beispiel die rasant geschriebene Benn-Biografie von Fritz Raddatz. Wo Raddatz fokussiert und polemisiert, konzentriert sich Hof fein säuberlich auf die Fakten, eine beachtliche Leistung angesichts der verführerischen Stereotype, die sich in den Benn-Rezensionen so festgesetzt haben. Da er ein eher schlechter Liebhaber gewesen sein soll, verliert auch der wohl am meisten zitierte Ausspruch von Gottfried Benn „Gute Regie ist besser als Treue“ seinen Reiz. Was nicht schlimm ist, denn es stehen ja genügend andere Biografien zur Verfügung.
Holger Hof: Gottfried Benn – Der Mann ohne Gedächtnis. Eine Biographie
Klett-Cotta Stuttgart
2011
539 S. – 26,95 Euro
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