Pussy Galore

Nicholson Bakers „Haus der Löcher“ ist intelligente Pornographie

Literatur lebt auch davon, dass man in der Fiktion Utopien entwirft. Das Haus der Löcher ist eine eben solche. Sex ist hier überall, nahezu bedingungslos und frei von jeglicher Gefühlsduselei möglich. Bevölkert wird dieser Ort von allerlei – wie sollte es in einem Porno anders sein? – austauschbaren Menschen, die auf verschiedenen, aber immer verschlungenen Wegen zu diesem Sex-Freizeitpark gelangt sind. Ob nun durch einen Strohhalm im Cocktail oder die richtige Waschmaschine in einem kaum besuchten Waschlason: Viele Wege führen zum Haus der Löcher, das neben den üblichen Zimmern auch über einen angrenzenden Park, ganz besondere Boote, eine Peniswaschanlage, ein Pornokino mit 12 Monitoren und diversen anderen Schnickschnack verfügt. Es gibt wohl nichts in diesem Haus, was nicht der Lustbeschaffung oder Befriedigung dienen könnte.

Was allein vom Setting her schon wie ein Porno klingt, ist auch in der Handlung nichts anderes. Fast jedes Kapitel endet mit einem Orgasmus oder einem Cumshot. Der Akt echter Verführung findet genauso wenig statt: Die Figuren fragen ihr Gegenüber unverblümt nach Sex und schon geht es zur Sache. Natürlich gibt es so für den Leser bei über 300 Seiten, die fast ausschließlich von Körperöffnungen handeln, gewisse Ermüdungserscheinungen. Aber wer erwartet bei so viel Sex schon eine klassische oder gar spannende Dramaturgie? Dafür müsste man so naiv sein und glauben, dass eines der kopulierenden Pärchen am Ende doch noch heiraten wird. Sowohl die Unterforderung des Lesers als auch das Unterlaufen normaler Romandramaturgien inklusive der Weiterentwicklung von Charakteren sind doch sehr eindeutige Stilmittel, die Nicholson Baker sehr gekonnt und bewusst anwendet, um die Mechanismen der Pornographie klar und deutlich vor Augen zu führen. Ein Glück, dass er sich dabei nicht auf irgendwelche moralischen Fingerzeige einlässt.

Sowieso sollte man der Etikettierung „Roman“ im Fall der deutschen Ausgabe keinen Glauben schenken. House of Holes trägt nämlich in der englischen Fassung bloß den Untertitel A book of raunch (zu Deutsch „Ein Buch voll Obszönität“) und wird nirgends als „novel“ klassifiziert. Dank der absolut gelungenen Übersetzung von Eike Schönfeld, der das comichaft Übertriebene dieses Buches wunderbar zur Geltung bringt, ist dieser Fauxpas aber verzeihbar.

Nicholson Bakers dritter Teil seiner erotischen Trilogie, die vor fast 20 Jahren mit Vox und Die Fermate ihren Anfang fand, ist definitiv nichts für spießige Literaturliebhaber, die klassische Erzählhaltungen und ein stimmiges Ende erwarten. Um diesem Buch etwas abgewinnen zu können, muss man auf jeden Fall den notwendigen, schrägen Humor mitbringen. Wenn eine Frau kurz vor dem Ende eines Gangbangs Sätze wie: „Glasiert mich, ihr Dödeljungs! Ich will mich wie ein Frühstücksteilchen fühlen!“ von sich gibt, dann ist das nämlich bestimmt nicht jedermanns Sache, auch wenn hier der parodistische Gehalt dieses überdimensionierten Sex-Szenarios grandios hervorgekehrt wird. Wer aber wiederum an kreativem Schweinekram eine Menge Spaß haben kann, für den ist das Haus der Löcher ein Pflichtbesuch und eine mehr als nur befriedigende Lektüre.

Nicholson Baker: Haus der Löcher

Deutsch von Eike Schönfeld

Rowohlt Verlag

Reinbek 2012

320 S., 19,95 EUR


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