Stichworte zum Tattoo

Literarisch, kulturwissenschaftlich, künstlerisch: Drei neue Bücher widmen sich der Tätowierung in ihren vielerlei Formen

Ein Tattoo als Kriegslist: Als sich einst das antike Athen und Persien bekriegten, soll sich ein Befehlshaber eines tätowierten Boten bedient haben. Diesem wurde das Signal zum Aufstand gegen die Perser auf die geschorene Kopfhaut eingestochen. Nachdem die Haare darüber gewachsen waren, überquerte der Bote die feindlichen Linien. So berichtet es der antike Chronist Herodot – für die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Landfester ist das ein glänzendes Beispiel für die Gleichsetzung von Tattoo und Schrift. Durch die Jahrhunderte hinweg, so schreibt sie in ihrem Buch Stichworte, hätten die Gelehrten einen Zusammenhang zwischen Alphabet und Tattoo gesehen. Dieser sei aber weder zwingend noch historisch haltbar. Kritikern der Schriftkultur, welche das flüchtige, gesprochene Wort für wahrhaftiger hielten, drängte sich das Tattoo als gewalttätiges Bild auf: Die Tätowierung richte den natürlichen Körper genauso zu, wie der Mensch zum Schreibenlernen gezwungen wird. Dass sich jemand freiwillig den Nadeln hingibt, schlossen die Gelehrten offenkundig aus. Der Tätowierte ist der beispielgebende Exot, mehr nicht, wie Landfester in Materialfülle vor Augen führt. In großen Bögen geht sie durch die Literaturgeschichte und zeigt, wie Tätowierung und Schrift eine Hochzeit eingehen, bis diese monogame Beziehung schließlich in den 1980ern endet. Seitdem tritt das Tattoo in vielen literarischen Kontexten auf, stellt Landfester in der wissenschaftlichen, aber weitgehend allgemeinverständlichen Arbeit fest. Selbst in Hogwarts: Vom Zauberlehrling Harry Potter behauptet seine Flamme Ginny, er trage einen feuerspeienden Drachen auf der Brust.

Von solcher fiktionalen Beschäftigung mit dem Tattoo zeugt auch das Buch Das Herz auf der Haut. Die Anthologie versammelt Ausschnitte aus der literarischen Welt, die sich um Tattoo-Motive ranken. Neben berühmteren Figuren wie der „edle Wilde“ Queequeg im Walfängerroman Moby Dick oder Junichiro Tanizakis Klassiker „Tätowierung“ sind im Buch auch kleine Schätze zu finden. Besonders begeistert eine Erzählung des tschechischen Autors Bohumil Hrabals über einen Dreikäsehoch, der alles daran setzt, ein Schiffchen unter der Haut zu tragen. So sieht Tattoo-Leidenschaft aus. Auch der – selbst zugehackte – Leipziger Milieuliterat Clemens Meyer hat einen Text beigesteuert und das Vorwort geschrieben. Mit Zitaten rund um die Hautkunst gespickt, ist ein ebenso in der Gestaltung wunderschönes Lesebuch entstanden.

Dem kreativen Umgang mit dem Tattoo widmet sich die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Querformat“. Das ansehnlich gestaltete Heft untersucht die gefärbte Haut in der Populärkultur. In Wort und Bild nähern sich die Beiträge dem Tattoo als Phänomen zwischen Mode und individueller Zeichensetzung. Makroaufnahmen zeigen die Verschiedenheit menschlicher Häute und in einem Interview erklärt Tätowierer Kes One 3001 (Immer & Ewig, Hamburg) Gummihaut zum ärgsten Arbeitsuntergrund. Die typografische Kunst bei tätowierten Schriftzügen erkundet ein anderer interessanter Beitrag. Ein ironischer Text nimmt den Architekten Adolf Loos auf die Schippe. Der machte mit dem Satz „Wer sich tätowiert, ist ein Verbrecher“ einst das noch immer nicht verschwundene Vorurteil populär. Dabei war er selbst tätowiert, wie ein Künstlerduo mit Fotobearbeitungen „beweist“: Loos ist u.a. im Badeanzug auf Sylt zu sehen und trägt ein Tribal-Band am linken Bizeps, das sich aus einer Aneinanderreihung seiner Initialen zusammensetzt. Das Thema Tattoo verträgt also auch viel Ironie.

Ulrike Landfester:

Stichworte, Tätowierung und europäische Schriftkultur

Matthes und Seitz, Berlin 2012

492 S. – 29,90 Euro


Benedikt Geulen, Peter Graf, Marcus Seibert:

Das Herz auf der Haut. Literarische Geschichten über das Tattoo

Mare Verlag, Berlin 2011

376 S. – 24,90 Euro


„Tattoo“. Querformat. Zeitschrift für Zeitgenössisches, Kunst, Populärkultur

Transcript Verlag, Bielefeld 2011

90 S. – 9,80 €


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