„Warum haben Sie mich ausgesucht?“

Buchmessenimpression: Ein Gespräch mit der dänischen Autorin Helle Helle

Helle Helle (Foto: Franziska Reif)

Helle Helle hat in ihrem deutschen Debut Rødby – Puttgarden ein lakonisches Universum entworfen, in dem selbst der Tod ohne Getöse daherkommt. In ihrem nun auf Deutsch veröffentlichten Buch Die Vorstellung von einem unkomplizierten Leben mit einem Mann stehen ebenfalls nicht die großen Dramen im Rampenlicht – oder zumindest merkt man es nicht gleich, weil irgendwie alles so alltäglich daherkommt. Beide Bücher fanden bei uns großen Anklang und so freuten wir uns am Rande der Leipziger Buchmesse auf das Gespräch mit der Autorin, die uns mit ihrer Frage zuvorkam.

Helle Helle: Warum haben Sie mich ausgesucht als Interviewpartnerin?

Almanach: Naja, wir mögen Ihre Bücher…

Helle: Wirklich? Na wunderbar! (lacht)

Almanach: Also, wir kennen nur die beiden Bücher, die auf Deutsch erschienen sind. Finden Sie es nicht komisch, dass sie hier in umgekehrter Reihenfolge publiziert worden?

Helle: Das finde ich nicht problematisch, auch wenn das, um so zu sprechen: neue Buch zehn Jahre alt ist. Ich dachte anfangs, dass es schwer werden könnte. Aber ich arbeite so intensiv mit allen meinen Büchern, dass ich auch die älteren noch sehr gut kenne. Natürlich habe ich auf dem Weg nach Leipzig sicherheitshalber das Buch mitgenommen.

Sie holt Forestillingen om et ukompliceret liv med en mand aus ihrer Tasche. Auf dem dezent gehaltenen Cover ist erst auf den zweiten Blick ein Stapel gefalteter Tischtücher zu sehen.

Almanach: Das ist aber ein schönerer Einband als bei der deutschen Ausgabe. Wir hatten uns etwas über das darauf herausstechende orangefarbenes Bügelbrett gewundert.

Helle: Ich glaube, der Verlag wollte ein weibliches Symbol haben. Aber ich selbst bin absolut nicht symbolisch im Schreiben. Vielleicht ist es ja das, was Sie am Bügelbrett irritiert?

Dänisches und deutsches Cover von Helles neuem Buch

Almanach: Ja, vielleicht. Es passt auf jeden Fall nicht so recht zu Ihrer klaren, schnörkellosen Sprache.

Helle: Aber natürlich finden die Menschen überall Symbole, auch bei mir, obwohl ich keine verwende. Du kannst beim Schreiben einfach nicht an Symbole denken. Oder du bläst sie so auf, dass die Menschen sie unglaubhaft finden. Ich arbeite mit Kommata, Grammatik, kleinen Worten.

Almanach: Ist das schwer, sich so zu begrenzen, auf Sprachspiele und bewussten Wortwitz zu verzichten, minimalistisch zu schreiben?

Helle: Also ich halte meine Bücher schon für witzig …

Almanach: … das sind sie …

Helle: Aber im Ernst: Man muss eine gewisse kühle Art ins Schreiben legen, um es zu kontrollieren. Ich fühle mich aber auch nicht als die Minimalistin, als die ich oft bezeichnet werde. In Dänemark wird derzeit generell viel von Minimalismus in der Literatur gesprochen. Aber anders als etwa in der bildenden Kunst, im amerikanischen Minimalismus der 1960er, wo man zum Beispiel mit kalten Materialien arbeitete, um dem Betrachter nichts an Deutung vorzugeben, ist das in der Literatur nicht möglich. Sprache ist nicht Stahl, sie transportiert immer schon Bedeutung.

Almanach: Woher kommt es dann, dass Sie als die dänische Minimalistin angepriesen werden?

Helle: Ich arbeite nicht mit Plots und großen Geschichten, daran mag es liegen. Mich interessiert es, Literatur aus kleinen Stücken zu machen.

Almanach: Sie haben Literaturwissenschaft studiert?

Helle: Nicht wirklich, also nur für ganz kurze Zeit. Ich habe die Universität dann lange nicht besucht, ohne meinen Eltern Bescheid zu sagen. Statt in Vorlesungen zu gehen, spazierte ich durch Kopenhagen. Ich war in der Wissenschaft einfach nicht zu Hause, konnte mit der Sprache, die dort erforderlich ist, nicht gut umgehen.

Almanach: Gibt es so etwas wie ein Oberthema in Ihrem Scheiben?

Helle: Nicht direkt. Allerdings handeln viele meiner Bücher davon, nicht dazu fähig zu sein, sich zu entscheiden. Meine Protagonisten scheinen von den Dingen und Umständen bestimmt zu werden und finden sich plötzlich in Hamburg mit einem Elektriker wieder oder sind auf einmal verheiratet, weil sie nicht „Nein“ gesagt haben. Sie warten, dass etwas passiert, etwas von außen kommt. Ich höre immer wieder, dass Leser fast wütend auf meine Figuren werden. Sie wollen, dass diese sich bewegen, scheiden lassen, eine Ausbildung anfangen oder wegziehen. Als Autorin finde ich es aber spannender, über den unperfekten Stoff zu schreiben – und das in möglichst perfekte Sprache zu packen. Daraus entsteht, glaube ich, die Energie meiner Bücher.

Almanach: Stellen Sie sich die Lesenden beim Schreiben vor?

Helle: Ja, das tue ich, auch wenn ich das wohl nicht sagen sollte. Das ist nicht sehr trendy. Ich stelle mir aber keinen konkreten Menschen vor, sondern eine Person, die mein Geschriebenes empfängt. Wir sehen beide, was in der Geschichte passiert, und müssen darüber keine großen Worte verlieren. Ich stelle mir die Leser als Menschen vor, die wissen.

Almanach: Sind Sie mit der deutschen Übersetzung zufrieden?

Helle: Ich denke, Flora Fink ist sehr gut. Ich bekomme von meinen Übersetzern immer Nachfragen und daran erkenne ich, ob sie gut sind. Und das ist bei Flora der Fall. In Rødby – Puttgarden zum Beispiel treten zwei Cousinen als Nebenfiguren auf, die heißen auf Dänisch Ris und Ros. Das kann man nicht direkt übersetzen, das meint etwas Positives und etwas Negatives. Flora nannte sie Fräulein Fein und Gemein, was das sprachliche Gefühl treffend enthält.

Almanach: Letzte Frage: Beim Lesen hatten wir den Eindruck, dass der dänische Name Luffe nicht sehr cool ist, richtig?

Helle: Absolut. Nennt Eure Kinder nicht Luffe! (lacht!) Die etwas plumpen Flossen von Seehunden heißen Luffe. Das ist ein Spitzname für Tollpatsche. In Rødby, wo ich aufwuchs, gab es einen Luffe. Der hatte ein Lokal, das er Pub 21 nannte. Wir wussten damals nicht, was ein Pub ist und wie man das ausspricht und haben das immer „Puhb“ genannt. Das war Luffe und ich habe ihn ins Buch geholt.

www.hellehelle.net

www.doerlemann.com

Ein Kommentar anzeigen

  1. Ein sehr schönes Interview mit wirklich guten Fragen. Wundert mich gar nicht, dass ihr sie als Interviewpartnerin ausgesucht habt. Ich war mal bei einer Lesung von ihr in Kopenhagen, und da war sie genauso sympathisch wie in eurem Interview.

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