Der schmale Grat zwischen Freundschaft und Verrat

„Wir wollten aufs Meer“ von Toke Constantin Hebbeln verhandelt allgemeingültige Themen, ohne dabei beliebig zu sein

Ronald Zehrfeld, Alexander Fehling und August Diehl (von links) in „Wir wollten aufs Meer“ (Fotos: Wild Bunch)

Freiheit. Wer assoziiert diesen Begriff nicht mit dem Meer? Die unendliche Weite, das Geheimnis verborgener Welten, die unbezwingbare Naturgewalt; all jene Dinge sind es, die das Meer für den Menschen einerseits zur gefürchteten Bedrohung, andererseits zur Utopie machen.

Wie bereits in seiner 2007 mit dem Studenten-Oscar ausgezeichneten Produktion Nimmermeer steckt der Sehnsuchtsort par excellence auch im Namen des neuen Films von Regisseur Toke Constantin Hebbeln. Wir wollten aufs Meer hat eine ähnlich düstere und raue Grundstimmung, fesselt jedoch nicht in märchenhaft-surrealen Bildern, sondern mit brutaler Realität.

Die Story scheint zunächst simpel, hat es aber in sich. Zwei junge Männer, Cornelis (Alexander Fehling) und Andreas (August Diehl), wollen 1982 als Matrosen der DDR-Handelsmarine über den Rostocker Hafen in die weite Welt hinaus. Das Ziel ― scheinbar zum Greifen nah ― ist jedoch alles andere als einfach zu erreichen. Die beiden Freunde driften trotz ihres gemeinsamen Traumes immer mehr auseinander. Während Andreas für die Stasi zu arbeiten beginnt, landet Cornelis nach versuchter Republikflucht in der JVA.

Doch es wäre bei diesem Film überaus unangebracht, die Handlung im Vorfeld genauer zusammenzufassen. Nur so viel: Sie ist packend, verstrickt und manchmal dennoch ein klein wenig vorhersehbar. Freundschaft und Verrat, Vertrauen und Korruption, Liebe und Hass, Fernweh und Gefangensein ― es sind die großen Themen des Lebens, die in ihrer Dialektik von jedem noch so kleinen DDR-Bürger hätten verhandelt werden können. Auch darin liegt die Stärke des Films, der trotz ausgeprägter Charakterrollen Allgemeingültigkeit schafft. Die versuchte Republikflucht zuliebe eines Mädchens, unfreiwilliges Geraten in die Fänge der Stasi: Es gab und gibt ― auch im Kino ― unzählige solcher Geschichten. Doch Hebbeln bringt eine dieser Geschichten auf eine ganz eigene, intensive Weise auf die Leinwand.

Wenig gesättigte Farben zeichnen die trostlose Tristesse. Strömender Regen und in Zigarettenqualm gehüllte Räume leisten ihren Beitrag zur unbehaglichen Atmosphäre. Mystische, fast romantisch anmutende Bilder wie Cornelis sehnsüchtiger Blick über das Meer oder der schneebedeckte tschechische Wald in der Grenzregion schaffen in weiten Landschaftsbildern eine träumerische Bildsprache. Diese wird jedoch im nächsten Augenblick von der bitteren Realität, wie den attackierenden Grenzschützern, gebrochen. Die Kamera (Felix Novo de Oliveira, Nimmermeer) ist dann alles andere als meditativ; wackelt hektisch und ist ganz nah an der Verfolgungsjagd. Damit fesselt sie zwangsläufig den Zuschauer, der sich stets in angespannter Stimmung wiederfindet und hinter jeder glücklichen Szene einen Haken vermutet.

Eine besondere Authentizität verleiht dem Film nicht zuletzt das Schauspielerensemble. Mit Alexander Fehling, Ronald Zehrfeld und August Diehl stammen alle drei männlichen Hauptdarsteller aus der ehemaligen DDR. Sylvester Groth, Thomas Lawinky und DDR-Legende Rolf Hoppe komplettieren die Ostbrigade vor der Kamera.

Wir wollten aufs Meer ist eine Spirale aus Hass und Liebe, die mit starken Bildern den schmalen Grat zwischen Freundschaft und Verrat ergründet. Wenn so die Zukunft des deutschen Films aussieht, darf man sich wohl auf einiges freuen und sollte sich den 13. September als Kinostart von Wir wollten aufs Meer vormerken.Wir wollten aufs Meer

Deutschland 2011, 116 Minuten

Regie: Toke Constantin Hebbeln; Darsteller: Alexander Fehling, August Diehl, Ronald Zehrfeld, Sylvester Groth, Rolf Hoppe

Kinostart: 13. September 2012


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