Zwischen 80er-Jahre-Nostalgie und Wackelkamera

Die Idee hinter Lars Jessens Film „Fraktus“ ist brillant und wird mit größtmöglicher Konsequenz durchgezogen

Damals waren sie das ganz große Ding: Fraktus auf dem Cover ihres Hit-Albums „Automate“ (Fotos: Verleih)

Sie schenkten uns Wortschöpfungen wie „Lockengelöt“, nun erklären sie uns, wie Techno entstand. Gemeint ist das Hamburger Komikertrio Studio Braun, dessen Bekanntheitsgrad sich mit ihrem ersten Spielfilm Fraktus hoffentlich drastisch erhöhen wird. Der Film besteht allerdings nicht aus einer reinen Nummernrevue oder einem Best-Of des Anarchohumors, den das Trio, bestehend aus Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk, in den letzten 15 Jahren geprägt hat. Nein, Fraktus ist eine aufwendig gemachte Musikdoku. Aber dessen Geschichte bleibt, trotz aller Authentizität, die der Film suggeriert, erstunken und erlogen.

Aus der damals noch Freakazzé benannten Band entstand zu Beginn der 1980er Fraktus, jene Band, bei der sich alle Größen der elektronischen Musik über eine Tatsache einig sind: Fraktus haben Techno erfunden. Dickie Schubert (Schamoni), Bernd Wand (Palminger) und Torsten Bage (Strunk) hatten mit ihren drei Alben „7353=057“, „Tut-Ench-Amour“ und „Automate“ zwar keinen riesigen kommerziellen Erfolg (das höchste der Gefühle war damals ein Auftritt in Peter Illmanns Musiksendung „Formel Eins“), aber ihr Einfluss ist bis heute spürbar. Nach Veröffentlichung der drei Alben und einem sprichwörtlich katastrophalen Konzert verschwanden Fraktus in der Versenkung. Was ist da nur passiert?

Gelingt das Comeback? Die Techno-Giganten von einst nähern sich einander wieder an

Der schmierige und wenig seriöse Musikmanager Roger Dettner (wie immer brillant: Devid Striesow) geht dieser Frage nach und möchte sämtliche Mitglieder für ein Comeback mit neuem Album wieder zusammenbringen. Wie die Lebensläufe der drei Mitglieder sich weiter entwickelt haben, ist herrlich tragikomisch. Bernd Wand, einst das kreative Genie der Band, arbeitet im Brillengeschäft seiner Eltern mit und hilft älteren Herrschaften bei der Auswahl des richtigen Gestells. Wands Eltern sind nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Mitmusiker in Wands neuem Projekt Fraktus 2, das noch viel mehr gaga ist, als Fraktus es jemals waren. Keyboarder und Produzent Torsten Bage hat sich auf Ibiza eine Existenz als Musikproduzent für Ballermannschlager auf unterstem Niveau aufgebaut. Als letzter im Bunde fehlt noch Dirk „Dickie“ Schubert, der seine Brötchen als Internetcafébetreiber verdient und sichtlich am meisten mitgenommen ist vom schnellen Aufstieg und Fall seiner ehemaligen Band.

Nach einem ersten Wiedersehen in Bages Finca auf Ibiza wird schnell klar, dass die geschmiedeten Comebackpläne wohl auf Sand gebaut sind. Die darauffolgenden Aufnahmen für eine neue Platte sind geprägt von Streit und Chaos, ein erster Auftritt auf dem MELT-Festival endet in Buhrufen und massenweise auf die Bühne geworfenen Bierbechern. Eine Kursänderung der Band hin zu ungenießbarem Bubblegum-Eurodance bringt das Projekt auch nicht voran. Wie soll es nun weitergehen?

Was Regisseur Lars Jessen mit dem filmischen Kunstgriff der Mockumentary veranstaltet, ist pure Anarchie bestehend aus 80er-Jahre-Nostalgie und Wackelkamera. Viele Szenen schwanken zwischen bestens getimter Pointe und dahinimprovisiertem Klamauk. Genau dieses Unterlaufen der Zuschauererwartungen bei einer deutschen Komödie macht den Reiz dieser stellenweise urkomischen Fake-Doku aus. Wer sich selbst einmal etwas intensiver als Musikschaffender betätigt hat, der wird in Dickie, Bernd und Torsten diejenigen Mitmusiker wiedererkennen, die auf ihrer Musik und kleinen Erfolgen mental hängen geblieben sind. Für alle anderen ist es das gleiche wie für die Fraktus-Erfinder Schamoni, Palminger und Strunk: nichts weniger als ein sehr, sehr intelligenter Jux.

Fraktus

Deutschland 2011, 95 Minuten

Regie: Lars Jessen; Darsteller: Rocko Schamoni, Jacques Palminger, Heinz Strunk, Devid Striesow

Kinostart: 8. November 2012

Am 30. Januar 2013 wird die Band Fraktus im Conne Island auftreten.


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