Mit Panzertape und Post-its

Euro-Scene: Dirk Vittinghoff inszeniert eine sarkastische Skizze von Guten und Bösen

Fotos: Alexander Jaquemet

Die fette, weißhäutige Puppe sitzt verloren auf ihrem Stuhl, die Augen sind blutunterlaufen, die wenigen Haare scheinen in fettigen Strähnen vom Kopf zu hängen. Sie ist nur bekleidet mit einer abgetragenen Boxershorts und in der rechten Hand hält sie fest umklammert eine Flasche „Absolut Wodka“. Besagte Puppe ist Wolfgang, Alkoholiker und Teilnehmer des Resozialisierungsprogramms von Pfarrer Gunther. Zu dessen Schützlingen gehören außerdem der Ausländer Hashem, der mit Aggressionsproblemen zu kämpfen hat, und die schwangere Iris, deren Kind aller Wahrscheinlichkeit nach behindert zu Welt kommen wird.

So die Rahmenhandlung des Stückes Jenseits von Gut und Böse, welches zur 22. Euro-Scene Leipzig im Theater Fact zu sehen ist. Regisseur Dirk Vittinghoff inszeniert mit seinem Stück eine zynisch-bitterböse Tragödie, gepaart mit urkomischen Elementen.

Passend zum Motto Herbstzeitlose der diesjährigen Euro-Scene, spielt das Stück mit moralischen Positionen zwischen Gut und Böse. Und geht darüber hinaus. Das Gift der Herbstzeitlosen kann zwar tödlich sein, ist in der Medizin aber gleichsam ein wichtiges Heilmittel. Somit ist sie das ideale Bild verschwommener Grenzen zwischen dem Guten und Bösen.

Pfarrer Gunther, der sogenannte Problembürger wiedereingliedert, erscheint zunächst als guter Part des Stückes. Als dann aber Neonazi Björn zu der skurrilen Gruppe stößt, dringt auch „das Böse“ in die Geschichte ein. Björn wird dabei nicht wie Wolfgang und Hashem von einer Puppe dargestellt. Einer der beiden Schauspieler, Philippe Nauer, klebt sich aus schwarzem Panzertape einen Hitlerbart auf, und wird so zum Neonazi Björn. Ähnlich die Darstellung des Pfarrers Gunther: Armin Kopp, der zweite im Schauspielbunde, nutzt ebenfalls das schwarze Klebeband, um sich einen Kinnbart zu zaubern. Überhaupt wird viel mit einfachsten, aber effektiven Mitteln gespielt. Schlägt Björn beispielsweise in einem Anfall von Wut auf Pfarrer Gunther ein, so hat dieser nach den Schlägen im Gesicht gelbe Post-its kleben, auf die rote „Blutflecken“ gezeichnet sind.

Die Inszenierung thematisiert verschiedene Konzepte von Gut und Böse und bringt dabei immer wieder die unterschiedlichsten Lebensentwürfe ins Spiel. So gibt Hashem dem Kapitalismus die Schuld für sein schlechtes Leben, verstrickt sich bei seinen Aussagen und Handlungen allerdings immer in Widersprüche. Wolfgang ist der Meinung, dass alle Menschen mit dem Finger auf andere zeigen müssen, um sich wohl zu fühlen. Und einer muss seiner Meinung nach nun mal derjenige sein, auf den gezeigt wird. Er nimmt seine Rolle also so hin, ohne seine (selbstverschuldete?) Position jemals in Frage zu stellen.

Doch unter all diesen traurigen Gestalten, die teils durch Puppen, teils durch die beiden Schauspieler dargestellt werden, ist der widersprüchlichste eigentlich Pfarrer Gunther. Anderen zu helfen ist sein Lebenssinn und alles Schlechte sieht er als Versuchung des Teufels, die überwunden werden muss. Selbst seine eigenen, zahlreichen Schicksalsschläge verdrängt er gnadenlos. Nicht einmal der Selbstmord seiner Frau, die sich nach der Geburt des gemeinsamen Kindes das Leben genommen hat, wirft ihn aus der Bahn. So belügt er sich und seine Mitmenschen, klammert sich dabei immer an die Hilfe Gottes und sieht sogar in einer Katze, die von mehreren Pistolenkugeln durchlöchert wurde, nur ein Tier, das einen harten Tag hatte, und sich nur ausruhen muss. Björn schaffte es jedoch, Gunthers Glauben in seinen Grundfesten zu erschüttern, und wirft ihn damit völlig aus der Bahn.

In einem wunderbaren Spiel mit einfachsten Elementen gelingt es, das sich immer weiter verstärkende Chaos in der kleinen Gemeinde überzeugend darzustellen. Und hat der Zuschauer eben noch herzhaft gelacht, so bleibt ihm das Lachen im nächsten Moment oft schon wieder in der Kehle stecken. Mit einem rabenschwarzen Humor inszeniert Vittinghoff die Geschichte des Pfarrers und seiner Schützlinge, und nutzt dabei auch die verschiedenen Ebenen der Darstellung. So können die beiden Schauspieler immer wieder aus ihrer Rolle schlüpfen und als sie selbst auf der Bühne stehen. Dieser Bruch in der Darstellung überbrückt nicht nur die einzelnen Szenen, sondern lockert die Handlung auf eine sehr angenehme Weise auf.

Im Verlauf des Stückes werden die Trennlinien zwischen Gut und Böse immer unschärfer, so dass eine Bewertung der Figuren fast nicht mehr möglich ist. Wo eben noch Sympathien oder wenigstens Mitleid waren, ist im nächsten Moment Ekel und Abscheu. Auch Neonazi Björn, der sich selbst als das Böse bezeichnet, wird gegen Ende des Stückes einen Sinneswandel durchmachen. Das (Gefühls-)Chaos ist damit komplett und die Frage nach Gut oder Böse einmal mehr unbeantwortet geblieben.

www.euro-scene.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.