„Happy New Ears“: John Cage und die ewige Suche nach dem Unterschied von „sinnfrei“ und „sinnlos“
Allerlei war da los aus Anlass des 100. Geburtstages von John Cage in 2012. Seine Europeras waren zu hören in Bochum bei der Ruhrtriennale und in Berlin an der Komischen Oper. In der Pinakothek der Moderne in München sind noch bis zum 17. Februar 2013 seine Ryoanji-Zeichnungen zu sehen, die Ausstellung wurde auch von einem Konzert begleitet. Die größte Aktion im Jubiläumsjahr nennt sich CAGE100 – ein Projekt was sich vom Juli 2012 bis August 2013, also die gesamte Zeit, die John Cage 100 Jahre alt gewesen wäre, mit seinem Werk beschäftigt.
Was hätte Cage wohl zu so viel Aufmerksamkeit gesagt? Überliefert sind Zitate, in denen ihm die erwachende Aufmerksamkeit zu Lebzeiten nicht ganz geheuer war. Der Sohn eines Erfinders wollte „.… in den Winkeln herumstöbern, ob ich nicht dort etwas finden kann.“ Man muss sagen, dass in vielen Veranstaltungen der Eindruck entsteht, John Cage immer noch bei seiner Suche zu begleiten. Wie sein Kollege Pierre Boulez – „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“ (1967) – war Cage in den Sechziger und Siebziger Jahren von der Idee besessen, dass es hinter all den herkömmlichen Tradierungen in der Musik noch etwas anderes, etwas Freieres geben muss. So wenig wie man diese Frage zu Lebzeiten von Cage beantworten konnte, kann man sie heute beantworten. Gegen den Vorwurf der Beliebigkeit setzten die Cages des Musikbetriebes das Diktat der Sinnfreiheit. Wie wollte und konnte man die zufälligen und multiplen Strukturen anders läutern?
In den Europeras ist man einem Meer aus Klängen und Eindrücken der gesamten Musikgeschichte ausgesetzt. Die Dauer solcher Veranstaltungen lässt bald die Frage aufkommen, wo Sinnfreiheit aufhört und Sinnlosigkeit beginnt. Viele Veranstaltungen haben etwas Historisches, dieses „Bilderstürmen“ hatte seine Zeit in den Sechzigern und Siebzigern, es war wichtig, wie auch in vielen anderen Bereichen längst Bekanntes zu hinterfragen und darüber hinweg zu kommen. Doch das hatte seine Zeit! Wo liegt die heutige Sinnhaftigkeit bei der Aufführung von Werken, die sich bewusst gegen jede Art von Ästhetik gewendet haben? Schnell kommt man sich vor wie beim Betrachten von historischen Fotos. Interessant sind der Bezug und die Wirkung aufs Jetzt. Projekte wie CAGE100 sind sehr engagiert dabei auf eine innovative Art heutige Bezüge und Beteiligungen herzustellen. Zum Beispiel das Silvesterkonzert im Leipziger Lindenfels stellte Cages Concert for Piano and Orchestra neben die Folk Songs von Luciano Berio und John Zorns For your eyes only. Besonders dem als eine Art Nummernmusik angelegten Stück von John Zorn gelang es, das Thema Silvester zu transportieren. Man kann dem Projekt CAGE100 nur weiter so viele Zuhörer wünschen wie an diesem Abend im Lindenfels. Die Kontextuierung des vielschichtigen Werkes von John Cage ist interessant, weil deutlich wird, dass letztendlich alle Komponisten und Künstler auf der Suche sind, nur mit jeweils unterschiedlichen ästhetischen Ansätzen.
Silvesterkonzert – Happy New Ears
Schaubühne Lindenfels, 30. Dezember 2012
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