Vom Gesichtsverlust

Peter Stamms neuer Roman „Nacht ist der Tag“ erzählt von der Lebenskrise einer TV-Moderatorin und eines Künstlers

Im Fall von Peter Stamm scheiden sich ein wenig die Geister, worin der Mann nun besser ist: Im Verfassen von Romanen oder von Kurzgeschichten? Nun sind Peter Stamms Bücher nicht gerade für ihre epische Handlung oder einen Figurenkatalog wie in einem russischen Roman bekannt. Daher erscheint es vielen schlüssiger, seine Kurzprosa der Langform gegenüber zu bevorzugen. Dabei gelingt Peter Stamm in seinen Romanen etwas ganz Erstaunliches, was ganz allein in seiner Sprache liegt: Er kann Geschichten von höchst tragischen Schicksalen erzählen ohne Rührseligkeit und falsches Pathos.

In Peter Stamms neuestem Roman mit dem poetischen wie schönen Titel Nacht ist der Tag macht der Leser die Bekanntschaft mit Gillian, einer einst aufgrund mangelnden Talents gescheiterten Schauspielerin, die nun als Moderatorin eines Kulturmagazins gut verdient und zur High Society der Schweizer Abendgesellschaften und Premierenparties gehört. Ihre Beziehung mit Matthias ist unaufregend, aber solide. Als Matthias aber eines Abends nach einer Party arg alkoholisiert einen Autounfall verursacht, den nur seine Beifahrerin Gillian überleben wird, ändert sich für die Heldin des Romans schlagartig alles. Gillians Gesicht, dass zuvor auch ihr Kapital als Moderatorin darstellte, ist gänzlich entstellt und bedarf der plastisch-chirurgischen Rekonstruktion. Die Ärzte leisten ganze Arbeit und Gillian wird feststellen müssen, dass es nun ganz an ihr liegt, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen.

Vor und nach Gillians Unfall spielt Hubert, ein bildender Künstler, eine Rolle in ihrem Leben. Hubert fotografiert und malt seit Jahren Modelle, die er mitten auf der Straße anspricht; immer dann, wenn sie ihm geeignet und alltäglich genug für seine Bilder erscheinen. Auch Gillian steht ihm Modell und findet nach ihrem Unfall in ihm einen Seelenverwandten, ist er doch nach der Trennung von seiner Frau und einer erfolglosen Ausstellung das Dasein als Künstler und Hochschuldozent endgültig leid. In der Beziehung von Hubert und Gillian findet man eine der großen Stärken des Romans, da sich Peter Stamm ausgiebig auf die Aura zwischen Maler und Modell konzentriert und das erotische Potenzial seiner beiden Hauptprotagonisten an anderen Stellen auf subtilere Weise auszuschöpfen vermag. In seinen besten Momenten erinnert dies an Jacques Rivettes Film Die schöne Querulantin.

Mit dem immer größer werdenden Erfolg von Peter Stamm setzen auch – ausgerechnet bei diesem wunderbaren Buch – die Unkenrufe bei den Lesern und im deutschen Feuilleton ein. Aber nur weil seine Bücher mittlerweile in über 30 Sprachen übersetzt wurden und auf dem Buchrücken weltbekannte Romanciers wie Zadie Smith oder Tim Parks lobende Worte über Peter Stamm verlieren, büßt der Autor nach wie vor keine seiner sonst so an ihm geschätzten Qualitäten ein. Vielleicht ist es die Angst, dass Peter Stamms Stil, der allzu oft mit den Adjektiven „knapp, präzise, schnörkellos“ unhinreichend zusammengefasst wird, bald schon zu einer schablonenhaften Manie werden könnte, mit der im Zweijahresrhythmus Erzählungen und Romane fabriziert werden. Wenn ein Autor es aber immer noch schafft, uns an die Hand zu nehmen und in die dunkelsten Winkel der menschlichen Psyche zu entführen und dabei mehrere erhabene Momente der Katharsis beschert, dann kann man ihm nur unverbrüchlich die Treue halten.

Peter Stamm: Nacht ist der Tag

S. Fischer

Frankfurt/Main 2013

253 Seiten – 19,99 Euro


Ein Kommentar anzeigen

  1. Na auf den bin ich ja mal gespannt….Untypisch unalltäglich Charaktere für Stamm, oder? Bis jetzt bei Stamm keine Seite umsonst. Bei ihm passt für mich immer das Erpenbecksche „Dazwischen“. Zauberkünstler sind das! freu mich auf das Buch! Danke für die Rezension.

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