Macht aus dem Staat Gurkensalat

DOK Leipzig: Trotz konventioneller Erzählweise erzählt „Striche ziehen” von Gerd Kroske eine spannende Geschichte um eine DDR-Punkgruppe

An den Grenzen des Systems: Ob sich der Fisch daran stört? „Striche ziehen“ von Gerd Kroske blickt auf die Protagonisten einer Punkgruppe aus Ost-Berlin, die 1986 mit einer Kunstaktion gegen die Mauer protestieren. (Foto: Gerd Kroske)

Dokumentarfilmer Gerd Kroske ist kein unbekannter Gast auf dem DOK Leipzig. Erst 2012 hat er für Heino Jaeger ― Look Before You Kuck die Goldene Taube für den besten deutschen Beitrag eingeheimst. Auch dieses Jahr ist er wieder im Deutschen Wettbewerb vertreten. Mit Striche ziehen erzählt er eine spannende Geschichte über Verrat und Vergebung.

Weimar, Stadt der Dichter und Denker ― „eine elitäre Stadt”, sagt Grit, die zu DDR-Zeiten dort aufgewachsen ist. Sie gehört mit zum Kreis, der sich nicht nur von der Enge der Kleinstadt sondern auch von den Zwängen des sozialistischen Regimes eingeengt gefühlt hat. Um sich Luft zu machen, haben Thomas, Jürgen, Grit und Co. mit kleinen Graffiti-Aktionen ihre Gedanken in die Welt geschrieben. „Macht aus dem Staat Gurkensalat” ist da an Häuserwänden zu lesen. Eigentlich harmlos. Eigentlich. Aber natürlich nicht, wenn man in der DDR lebt. Für einige Mitglieder der Gruppe bedeutete das dann auch sechs Monate einsitzen. Doch wie konnte es dazu kommen? Eigentlich haben doch alle aus der Gruppe dicht gehalten. Eigentlich. Doch das Ministerium für Staatssicherheit hat seine Augen und Ohren überall. Und mittlerweile ist heute auch allgemein bekannt, dass es so genannte Informelle Mitarbeiter (IM) gab. Dazu gehörten auch Leute von denen niemand dachte, dass sie einen verraten könnten. Aber in der eigenen Gruppe? Das passiert doch nur anderen.

In diesem Fall ist Jürgen, der Bruder von Thomas, der Verräter. Anders kann man es nicht sagen. Auch er selbst sagt, dass er Tat Verrat war. Dennoch begreift er über den ganzen Film hinweg nicht die Tragweite seiner Handlung. Er hat es halt nur für Kohlengeld getan, er kam da nicht mehr raus, er ist irgendwie auch ein Opfer. Jürgen hat sich, wie viele andere vielleicht auch, seine eigene Realität erschaffen. Und gegen diese Mauer kommt keiner an.

Diese Geschichte ist umso erstaunlicher, weil Autor und Regisseur Kroske ursprünglich ausgezogen ist, eine etwas andere zu erzählen. Ausgehend von dem Buch „Der weiße Strich: Vorgeschichte und Folgen einer Kunstaktion an der Berliner Mauer” von Anne Hahn und Frank Willmann wollte er die Geschichte rund um diese Aktion erzählen. Denn nachdem sich ein Großteil der Gruppe aus Weimar per Ausreiseantrag nach Westberlin absetzen konnte, setzen sie eine Kunstaktion um ― die Idee stammt ausgerechnet von Jürgen. 1986 ziehen fünf junge Leute aus und wollen einen weißen Strich über die ganze Berliner Mauer ziehen. Als Mahnung sozusagen. Denn trotz der bunten Graffitis, die die Westseite der Mauer verzieren, markiert sie schließlich ein unrechtmäßig errichtetes Gefängnis. Dabei gerät einer der „Maler” in die Fänge von ostdeutschen Grenzsoldaten, was dem Ganzen ein frühzeitiges Ende bereitet.

Diese Episode wird im Film ziemlich am Ende erzählt. Sie ist auch nicht so eindrücklich wie das vorher Gesehene. Gerd Kroske vermag es seine Protagonisten aus der Reserve zu locken, was besonders bei Jürgen ins Auge springt. Das ist emotional sehr stark. An manchen Stellen ist es aber auch hart an der Grenze des Vorführens. Durch Kroskes Fragen aus dem Off wird nicht nur sein Talent der Tuchfühlung, sondern auch seine Haltung zum Geschehen offenbar. Das färbte sich beim DOK auch auf die Zuschauer ab, die teilweise laut über Jürgens Aussagen lachten oder sich empörten.

Eine andere Schwäche des Films ist zum Teil seine Erzählweise. Über schlichte Interviewsequenzen und Archivmaterial bearbeitet der Regisseur die Geschichte. Das ist ein bisschen zu sehr Fernsehen, passt aber gut in das Portfolio von Fernsehsendern in Deutschland. Immerhin erzeugt das Archivmaterial, bestehend aus Super-8-Aufnahmen und Schwarz-Weiß-Fotos eine schön nostalgische Stimmung. In diesem Moment öffnet sich der Film auch hin zu universelleren Themen wie der Entwicklung von Jugendfreundeskreisen und Bruderbeziehungen, zu denen jeder einen Bezug aufbauen kann. Der anvisierte Gegenwartsbezug, der mit Abstechern zur Mauer in Israel/Palästina aufgebaut werden soll, geht hingegen nicht ganz auf und wirkt eher etwas gekünstelt. Alles in allem bleibt Striche ziehen aber ein spannender und wichtiger Film.

Die Geschichte, die Gerd Kroske hier erzählt, ist ein Glücksfall für jeden Dokumentarfilmer: Auf den Spuren einer Geschichte eine andere, noch spannendere zu entdecken. Und dann auch noch die Protagonisten vor die Kamera zu bekommen! Da verzeiht der Zuschauer auch die eher konventionell gehaltene Erzählweise des Films.

Striche ziehen

Deutschland 2014, 96 Minuten

Regie: Gerd Kroske

Deutscher Wettbewerb beim 57. DOK Leipzig

Premiere: Cinestar, 28. Oktober 2014

Rezension zu „Jalanan“
Rezension zu „6 Degrees“
Die Preisträger 2014

Ein Kommentar anzeigen

  1. Da bin ich offenbar unter vorgetäuschter Motivation zur Beteiligung am Film gebeten worden. „Herr Hasch, die Strichaktion finden wir sehr interessant und wollen darüber einen Film mit Ihnen und Ihren damaligen Mitstreitern drehen“ hiess es noch auf dem Anrufbeantworter bei der Erstanfrage bezüglich Mitwirkung“. …..Staubiges Vergnügen !!

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