Musikalisch auf höchstem Niveau, aber ideenlos

„The Turn oft the Screw“ in der Staatsoper im Schillertheater

„Die The-Turn-oft the-Screw-Drehung der Schraube ist direkt verbunden mit der Frage des Gleichgewichtes und der Balance und damit genauso mit der Frage des Verlustes des Gleichgewichtes, des Verlustes der Balance bis hin zu der wirklichen Möglichkeit des Wahnsinns.“
(Shoshana Felman in Turning the Screw of Interpretation)


Der Plot der Oper von Benjamin Britten liest sich wie eine Vorlage für einen David Lynch Film. Eine Frau aus einfachen Verhältnissen bekommt den Auftrag, sich um die Vollwaisen Flora und Miles zu kümmern. Das Stück spielt Mitte des 19. Jahrhunderts im Osten Englands. Die beiden Kinder leben allein auf dem Landsitz Bly mit der Haushälterin Mrs Grose, nachdem zwei Hausangestellte, die ehemalige Gouvernante Jessel und der Diener Quint unter mysteriösen Umständen zu Tod gekommen sind. Die Geister von Jessel und Quint irrlichtern schon bald durch den Plot, ob real oder nur in den Phantasien der Protangonisten bleibt offen. Die Gouvernante, deren Namen wir nie erfahren, beginnt ihren Auftrag schon einigermaßen verunsichert. Denn ihr Auftraggeber, ein Onkel der Kinder, verbietet ihr ausdrücklich, sich in irgendeiner Angelegenheit an ihn zu wenden. Quint stellt sich in der Erinnerung von Mrs Grose als ein verruchter, die sexuellen Codes des viktorianischen Zeitalters missachtender Zeitgenosse dar. Das Thema Sexualität steht zwischen allen Zeilen:

Zwischen der Gouvernante und dem Onkel knistert es, eine noch höhere Anziehung übt Miles auf die Gouvernante aus, die beiden Kinder kommen sich im lustigen Spiel gefährlich nahe. Und letztlich Peter Quint, welcher sich immer wieder Miles nähert – zum Schrecken der Gouvernante oder auch ihre Eifersucht provozierend, das bleibt offen.

Benjamin Britten lädt den Stoff mit einer Kammermusikbesetzung genüsslich auf. Die zum großen Teil solistisch agierende Besetzung erreicht eine opulente Farbigkeit. Sehr sinnlich sind die Passagen, in denen die tiefen Holzbläser die Harfe stützen. Ätherisch wird es, wenn die Celesta von hellen Glocken begleitet wird.

Was macht nun Claus Guth und sein Inszenierungsteam aus dem vielschichtigen Stoff? Um es vorweg zu nehmen, er macht daraus nicht viel. Die Drehbühne generiert weinige wechselnde Interieurs eines englischen Landsitzes, und das extrem brut:

lediglich unifarbene Wände, Hauptgestaltungsmittel sind die übergroßen dunklen Holztüren. Das Licht ist sehr statisch und zurückhaltend ebenso die Kostüme. Claus Guth besetzt Flora und Miles doppelt, Sónia Granés Flora bekommt ein Kinderdouble, ebenso bekommt Thomas Lichteneckers Miles ein altersgerechtes Double. Diese Entscheidung prägt die Inszenierung über die Maßen. Durch die nun hervorragenden Stimmen von Flora – Sopran und Miles – Countertenor gehen die Kontraste verloren. Auch die Gouvernante, Mrs Grose und Miss Jessel, sind im Sopran angesiedelt, Peter Quint – Tenor schließlich liefert den einzigen (kleinen) Kontrast. Das kindliche Tollen von Flora und Miles läuft Gefahr zum Kasperletheater zwischen Erwachsenen zu werden, die sexuelle Ebene zwischen der Gouvernante und Miles wird sehr eindimensional, die kindlichen Aspekte gehen verloren.

Das Timing der Inszenierung sitzt, die Musiker der Staatskapelle Berlin unter Ivor Bolton agieren vorzüglich und auch die Gesangssolisten sind durchweg hervorragend. Der Inszenierung fehlt am Ende einfach der Unterhaltungswert. Wo man anderen Inszenierungen mit dem Vorwurf „Regietheater“ ein zu viel an Ideen und Interpretationslust vorwirft, muss man Claus Guth hier fragen, wo denn die Idee der Inszenierung geblieben ist. Oder weshalb er das Instrumentarium heutiger moderner Inszenierungen einfach so ungenutzt liegen lässt. Musikalisch ein sehr schöner Abend, der das Publikum aber etwas ratlos zurücklässt.

The Turn of the Screw – Opera in a prologue and two acts

Text von Myfanwy Piper nach einer Erzählung von Henry James

Musik von Benjamin Britten

Staatsoper im Schillertheater, Berlin

Premiere: 15. November 2014


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