Beischlaf zu Blasmusik

Die Deutsche Oper in Berlin zeigt „Lady Macbeth von Mzensk“ als expressionistische Realsatire

Fotos: Marcus Lieberenz

Dimitri Schostakowitsch befand sich Anfang der 1930 ziger Jahre auf der Höhe seines musikalischen Schaffens. Neben seiner Vierten Sinfonie schrieb er seine zweite Oper. Nach dem großen Erfolg seiner ersten Oper „Die Nase“ nach einem Stoff von Gogol, wählte er wieder einen russischen Stoff. Die Novelle „Lady Macbeth aus dem Landkreisv Mzensk“ entstand 1865 und bezog sich auf eine wahre Begebenheit in der Stadt Orjol. Den Titel von Shakespeares mörderischer Witwe bekommt die Kaufmannsgattin Katerina Ismailowa. Sie tötet zuerst ihren Schweigervater Boris mit Rattengift, dann erwürgt sie ihren Ehemann Sinowij, um sich mit dem Schürzenjäger Sergej verlustieren zu können. Die dritte Leiche ist eine Prostituierte, Sergejs nächste Station weiblicher Lust.

Die Oper kann man fälschlicherweise in die Tradition russischer Frauenschicksale des 19. Jahrhunderts stellen, wo Frauen durch die herrschenden Verhältnisse zu Nichtstun und Langeweile und dann letztendlich zu Ehebruch und in den Tod getrieben wurden. Der Fokus bei Nikolai Leskow liegt aber weniger in den gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern in der konkreten Situation seiner Hauptdarstellerin Katerina. Ihr tollpatschiger Ehemann kann es ihr nicht richtig besorgen, den schlüpfrischen Nachstellungen ihres Schweigervaters Boris mag sie nicht nachgeben, dann angelt sie sich den eben im Betrieb der Ismailows angekommenen Sergej, der von seiner letzten Arbeitsstelle geflogen war, weil er es mit der Gutsherrin getrieben hatte.

Die Inszenierung von Ole Anders Tandberg lässt sich mit Genuss auf den realistischen Plot der Oper ein. Er verlegt die Handlung ins heute, den Getreidebetrieb der Ismailows deutet er um in einen Fischereibetrieb. Die Damen des Chores sind Köchinnen, die Herren sind Fischer, ständig tragen und werfen alle einen Meter lange Fischattrappen durch die Gegend. Während der Vergewaltigung einer Köchin durch die rohe Herrenmeute lassen alle die Schwänze der Fische zappeln. Auch der Schwiegervater Boris reibt sich die Fische kräftig zwischen den Beinen, wenn er wollüstigen Phantasien nachhängt. Eine ganz schlüpfrige Sache ist das!

Donald Runnicles, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, unterstützt klanglich Tandbergs Interpretationsansatz. Schostakowitschs Marschparodien werden holzschnittartig überhöht. Das hämmernde Schlagwerk und die krachendem Gongs kommen ganz Brut auf die Bühne. Das Orchester legt sich lustvoll in die grellen Fortissimo-Ausbrüche. Die Partitur bleibt trotzdem immer transparent genauso wie in den ruhigen Momenten, welche es auch gibt in Schostakowitschs Oper. Sehr frech kann die Musik auch sein, wenn der Pope im Angesicht des toten Boris selig im Walzerrhythmus schwelgt. Oder wenn der Polizeichef salbungsvoll eine Arie auf Gesetz und Moral vorträgt. Im Auftritt der Bläser des Orchesters vereinen Runnicles und Tandberg kongenial Musik und Spiel. In schrill roten Militärkostümen marschiert das gesamte Blechensemble als Frauen verkleidet musizierend über die Bühne. Beim ersten Beischlaf von Katerina und Sergej stehen sie um das kopulierende Paar und blasen lustvoll. Neben dem hohen visuellen Unterhaltungswert kommt das auch der Musik zu gute, welche sich außerhalb des Grabens erzeugt, herrlich im ausverkauften den fast 2000 Sitzplätz umfassende Saal ausbreiten kann.

Das begeisterte Publikum erlebt in Berlin Schostakowitschs Macbeth als expressionistische Realsatire. Ole Anders Tandberg hat mit der Verlegung der Handlung in einen Fischereibetrieb eine stringente Inszenierung mit sehr hohem Erinnerungswert geschaffen.

Lady Macbeth von Mzensk

Oper in vier Akten

Von Dimitri Schostakowitsch

Libretto von Alexander Preis nach der gleichnamigen Novelle von Nikolai Leskow

Deutsche Oper, Berlin, 14. Februar 2015


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