Musikalisches Muskelspiel

Soul- Legende D´Angelo liess sich in der Berliner Columbiahalle lange bitten, um dann über zwei Stunden zu triumphieren

D’Angelo beim finnischen Pori Jazz Festival im Jahr 2012. (Foto: Roquai / CC BY-SA 3.0 / www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Als Ende des letzten Jahres nach fast 15 Jahren Wartezeit das neue Album von D´Angelo erschien, sprach schon direkt der erste Track auf sehr direkte Weise seine Fans an, die endlich aus der Warteschleife erlöst wurden. „You can´t leave me/ It ain´t that easy“ hieß es da im Opener. Etwas freier übersetzt könnte man das auch im Sinne von „so einfach werdet ihr mich nicht los“ interpretieren. Dabei hatte niemand in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten D´Angelo schon ernsthaft abgeschrieben. Trotz der Negativpresse mit Meldungen von Alkohol- und Kokainsucht, Verhaftungen und einem schweren Autounfall, wussten seine Fans, dass sie sich beim nächsten Album wieder auf ein ganz großes Ding gefasst machen dürfen. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. „Black Messiah“ ist das ganz große Ding geworden und kann locker mit seinem Vorgänger „Voodoo“ aus dem Jahr 2000 mithalten, ja, ihn sogar in manchen Belangen übertreffen.

Aber funktioniert das neue Material auch live? Für die akkustischen Antworten auf diese Frage mussten sich die Fans in der Berliner Columbiahalle -wie sollte es anders sein- auch wieder gedulden. Fast eine Stunde liess die Soul- Legende seine Fans warten, bis er zuerst alleine und nahezu ohne Bühnenbeleuchtung auf der Bühne erschien. Während D´Angelo als Opener „Prayer“ zum Besten gab und die Musik noch vom Band kam, gesellten sich nach und nach die Mitglieder seiner Band „The Vanguard“ auf die Bühne. Mit Pino Palladino am Bass (sein trockener, schnörkelloser Ton hat einst das bassline-lastige „Voodoo“ im Besonderen mitgeprägt) und Chris „Daddy“ Dave, einem der einflussreichsten Schlagzeuger der Moderne, verfügt „The Vanguard“ über eine Rhythmusgruppe vom Allerfeinsten. Aber auch Jesse Johnson, einst Gitarrist beim Prince- Nebenprojekt „The Time“, weiss der extrem gut funktionierenden Combo seinen Stempel aufzudrücken.

Nach dem als Eröffnungssong gut gewählten „Prayer“ braucht es dann doch noch zwei weitere Songs von der neusten Platte, um richtig warm zu werden. Dass „1000 Deaths“, ein extrem vertrackter wie hervorstechender Afropunk-Song, live ein bisschen blass gerät und kaum sein ganzes Potenzial entfalten kann, bleibt der einzige Wermutstropfen dieses Abends. Schließlich spielt „The Vanguard“ so gekonnt ohne große Pausen oder Ansagen von einem Song in den anderen hinüber, dass man kaum Zeit hat, sich über diesen kleinen Patzer zu ärgern. Die einzigen Unterbrechungen scheinen D´Angelos gelegentliche Kostümwechsel zu sein. Mehr als ein Poncho oder ein Cowboyhut werden dem schlurfigen Outfit aus Jogging-Baggypants und Tanktop dabei selten hinzugefügt. Aber man ist ja auf einem Konzert und nicht auf einer Modenschau.

Spätestens bei „Brown Sugar“ und „Sugah Daddy“ sind Publikum und Band dann so knietief im Groove, dass es in der gesamten Columbiahalle kein Halten mehr gibt. Die Menge tobt, die Band spielt sich – wie man so schön sagt – „den Arsch ab“. D´Angelo hat seine Jungs und ein Mädel (Backgroundsängerin Kendra Foster, die auch einige Songs auf „Black Messiah“ mitgeschrieben hat) trotz des frei wirkenden Jams, in dem die Musik nach und nach ausartet, fest im Griff. Nur das Heben von Zeige- und Mittelfinger ist nötig und D´Angelo kriegt zwei saftige „hits“ von seiner Band wie einst James Brown. Eine abwinkende Bewegung reicht und die Band setzt aus, um wenige Sekunden danach noch einen Funken energiegeladener weiterzuspielen.

Doch am Ende von „Sugah Daddy“ gibt es eine kleine Ernüchterung. D´Angelo ist kurz angebunden von der Bühne gegangen. War es das etwa schon nach gerade mal knapp 80 Minuten bei Ticketpreisen von immerhin 50 bis 80 Euro? Die Bühne bleibt im Dunkeln, während das Publikum minutenlang klatscht und jubelt. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen D´Angelo and the Vanguard noch einmal auf die Bühne, um eine überlange Zugabe zu spielen, die in einem Medley aus „Chicken Grease“ und „Left and Right“ mündet. Der Fun(k)- Faktor von „Sugah Daddy“ ist also doch noch zu überbieten. Wer sich dazu nicht bewegt, der muss der Leichenstarre schon näher sein als ihm lieb ist.

Um die Dramaturgieschraube des Konzerts ins Unerträgliche anzuziehen, verlassen D´Angelo und Band die Bühne danach erneut für einige Minuten, um mit zwei letzten Songs den Abend mehr als würdig zu beschließen. Als letzter Song erklingt ausgerechnet „Untitled (How does it feel?)“. Jener Song, dessen Musikvideo im Jahr 2000 aufgrund seiner überästhetisierten Nacktheit von D´Angelos damals makellos durchtrainiertem Körper den Künstler einst in große Schwierigkeiten gebracht hat. Doch diese Geschichte scheint mittlerweile kalter Kaffee zu sein. Der mit über 40 Jahren merklich reifer gewordene Künstler braucht kein Muskelpaket mehr zu sein und kann sich abseits von Eitelkeiten heute ganz auf seine Musik konzentrieren. Das gesamte Publikum wird in der Columbiahalle somit zum Backgroundchor und singt beherzt und teilweise unter Tränen etliche Male „How does it feel?“, während nach und nach jedes Bandmitglied die Bühne verlässt. Am Ende sitzt nur noch D´Angelo vor seinem E-Piano und lässt die letzten Akkorde erklingen bevor er mit den Worten „Happy Valentine´s Day!“ die Bühne verlässt. Ganz egal, ob man nun als Single oder glücklich Vergebene(r) dieses Konzert besucht hat, so ist es doch in diesem Rahmen einer der unvergesslichsten Valentinstage geworden. Wer weiß schließlich schon, wie lange der Meister diesmal auf sein nächstes Werk warten lässt.

D’Angelo: The Second Coming

Konzert mit Live-Band

Columbiahalle, Berlin, 14. Februar 2015. Weitere Konzerte am 24.2. in Hamburg und am 6.3. in Köln.


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