Funkgewitter

Die Schauspielstudios Leipzig und Köln feiern ihre Premieren im Sturm von Kurzschlüssen und Empfangssignalen: „Eigentlich schön“ und „Argonauten“ mit Studierenden der HMT

„Eigentlich schön“, von links: Erik Born, Andreas Dyszewski, Stefanie Schwab, Loris Kubeng, Lara Waldow (Fotos: Rolf Arnold)

Zu Beginn der neuen Spielzeit teilte sich wieder einmal ein Jahrgang der Leipziger Hochschule für Musik und Theater in zwei Arbeitsgruppen auf. Die eine Hälfte zog über die Straße ins Schauspiel Leipzig, die andere ins Schauspiel Köln. Die Erwartung an differierende Studioinszenierungen war entsprechend groß, arbeiten doch beide Häuser mit sehr unterschiedlichen Gesamtkonzepten.

Ende März feierten nun beiden Gruppen im Abstand von einer Woche in den zwei Häusern Premiere: In Leipzig inszenierte Bruno Cathomas (Ensemblemitglied am Schauspiel Köln) eine Uraufführung von Volker Schmidt, „Eigentlich schön“. Ein erwartbarer Titel für ein Stück mit erwartbaren Inhalten, dafür in herausragender Besetzung. In Köln inszenierte Simon Solberg (kein Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig) eine Stückentwicklung zur griechischen Mythologie, „Argonauten“, eine wilde Abfolge von Tableaus und inhaltlich schwachen Bildern, dafür mit hohem Experimentiergeist und Spieltrieb aller Beteiligten.

Das eine verlor sich im Datennetz, das andere im Roadtrip des Geistes. Beide Inszenierungen nebeneinander folgen selben Prinzipien, zeigen hervorragende Leistungen der Darsteller, aber mäßige der Regie. Die Schauspielstudenten wühlen sich durch überdekorierte Bühnenbilder, die ausstaffierter sind als ein Barbie-Traumhaus. Die Inszenierungen erwecken den Eindruck, als würden die Regisseure den Darstellern nicht vertrauen. Enttäuschend, denn ihre Leistungen stellen die Regie in ihrer Fehlkalkulation bloß.

Dübdübdüb – oversexed and underfucked

„Eigentlich schön“ des Schauspielstudios Leipzig handelt vom Social Freezing der anderen Art − dem Einfrieren von Beziehungen durch Distanz und dem Versuch, Wärme oder Nähe per Handy herzustellen. Die Wege werden per Facetime verkürzt und auf große Leinwände übertragen. Die Darsteller stehen nebeneinander, aber sehen sich kaum. Sie starren in die Wirren des Datennetzes.

„Eigentlich schön“, von links: Stefanie Schwab, Loris Kubeng, Brian Völkner, Lara Waldow, Erik Born, Andreas Dyszewski

Der Text geht mit Telekommunikation leider um wie mit einem Kammerspiel. Kein Wunder, dass das Ensemble etwas ratlos schaut, als es gegen Ende vor dem geschlossenen Leinwandprospekt steht wie in einer Black Story: Jemand wurde umgebracht (hier die Beziehung zweier junger Leute), die Tür wird abgesperrt, und am Ende war es der Butler (hier das Leben oder so). Das passt wenig zum Geist des Themas, aber weder Regie noch Ensemble scheinen sich daran zu stören. Wozu auch, wenn man damit Spaß haben kann?

So klicken und texten sie sich durch die Irrwege menschlichen Miteinanders, im ständigen, meist erfolgreichen Bemühen, den Text in all seiner Normalität als eine stetig neue Erleuchtung zu verpacken. Das gelingt durch kontrapunktierende Regieeinfälle und ein Ensemble, das sich darauf versteht, jeden Moment zu melken, bis der gemeine Zuschauer nickt und sagt, ja, das kann man so machen. Hervorzuboben ist allerdings Andreas Dyszewski, der so unverkrampft an die Rolle einer verkrampften Frau herangeht, dass man weder den mäßigen Regieeinfall, noch seinen Bart hinterfragt. Große Leistung. Am Ende steht man ein wenig nervös vor dem Theaterhaus, glücklich, hervorragend unterhalten und am Überlegen, ob man das Handy nicht mal ausmachen sollte, bevor die Premierenparty beginnt.

Exzesse – bei Mutti im Keller

In Köln gräbt sich die andere Hälfte der Schauspielstudierenden der HMT Leipzig durch eine psychedelische Odyssee. Erschöpfte wälzen sich nach einer harten Nacht auf Feldbetten, der Regen trommelt auf das Wellblechdach des Hauses. Im ewigen Spieltrieb turnen und kampeln sich sechs Gestalten der griechischen Mythologie durch die Szene aus Betten und allerlei technischem Firlefanz. Es erwächst der Eindruck, es handele sich um einen Stapel geistig kindlicher Mittzwanziger, die sich zum Start des Abends einen Haufen Acid geschmissen haben und dann einen körperlich und emotional turbulenten Trip teilen, dem wir Zeuge sind.

„Argonauten“, von links: Henriette Nagel, Justus Maier, Janis Kuhnt, Nicolas Streit, Lena Geyer, Lou Strenger (Foto: Martin Miseré)

Da baut sich aus den Matratzen ein Schiff, das die Odyssee wagt und unter den Einflüssen der Natur wankt. Dann wandelt es sich zum Boxring und schmeißt die Kämpfenden in die Seile, bei Nebel, Trommelwirbel und Konfettisturm. Alles wird zu einem Hardcoreroadtrip durch den Geist, der im Keller der Eltern stattfindet. Nur wird dieser dankbarerweise von den Darstellern mit absurd anmutender Ernsthaftigkeit zelebriert.

Dies alles geschieht im Rahmen reiner Willkür der szenischen Elemente: zum Beispiel mit einer willkürlichen, aber im Moment treffenden Musikauswahl ohne übergreifende Dramaturgie, oder mit den willkürlichen, aber treffenden Videoeinspielern von den Reisen draußen (unsere Realität, nur weiter weg). Gleiches bei Kostümen und Maske. Gleiches, erst Recht, bei der Dekonstruktion der Bühne. Spätkindliche Willkür in Form einer Heldenreise.

Am Ende steht der wohl obligatorische Hoffnungsschimmer in Form eines Neuanfangs. „Morgen gehen wir wieder auf die Reise?“, fragt sich die Truppe. Klar. Jeden Abend beginnt die Reise von Neuem.

„Eigentlich schön (UA)“ / „Argonauten“

Mit Studierenden der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Schauspiel Köln und Schauspiel Leipzig; Premiere: 28. März 2015


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