Das retardierende Moment im Blitzlicht

Im Institut für Zukunft bringt eine engagierte, junge, freie Szene mit „Johnny zieht in den Krieg“ einen kuriosen Stoff surreal auf die Bühne

Fotos: Klemens Hegen

„Ich bin der Boss! Das ist Champagner. Merry Christmas!“, skandiert eine Frau im fulminanten Anzug. Sie steht auf einer Treppe. Neben ihr wiegt sich sanft lächelnd ein Mann, unten marschieren schwarz gekleidete Gestalten im Schreittanz. Der sanft Lächelnde springt die Treppe hinunter und durch die Reihen, immer bemüht, nicht anzustoßen, gleichermaßen besorgt, die wesentlichen Fragen zu stellen. Ist es möglich, ohne Arme und Beine zu überleben? Wie willst du herausfinden, ob Gehirnaktivität vom Patienten aufrechterhalten wird, da er taub und stumm ist, sein Gesicht entstellt? Die Frau wiederholt sich: „Ich bin der Boss! Das ist Champagner. Merry Christmas!“

Dem Bild wohnt eine grausige Geschichte inne.

Johnny ist taub, stumm, blind, seine Arme und Beine wurden amputiert, so wurde er durch eine Artilleriegranate aus dem Krieg katapultiert. Auf dem Krankenbett realisiert er seine Lage, erkennt, dass er nicht mal Selbstmord begehen kann, hilflos ist. Nicken kann er jedoch, und so versucht er, durch Morsecode mit den Ärzten zu kommunizieren.

Als er wieder und wieder morst: „Tötet mich“, muss er einsehen, dass er nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern auch als medizinisches Phänomen am Leben erhalten wird. So geht er in einen geistig wachen, körperlich vegetativen Status über, bei vollem Bewusstsein und grausiger Gewissheit ob der Endlosigkeit seines Zustandes.

Die Inszenierung „Johnny zieht in den Krieg“ baut auf der Verfilmung durch Dalton Trumbo aus dem Jahr 1971 auf. Das Produktionsteam, bestehend aus Christoph Meißner, Ulrike Kerrmann und Georg Paco Ludwig Nitschke wird unter Anleitung von Nitschke durch eine hervorragende Liveband verstärkt. Auf der Bühne spielt ein vielköpfiger Chor um einen Joe Bonham in surrealen Bildern, die an eine theatrale Version von Terry Gilliams filmischen Stil erinnern.

All dies äußert sich bunt, absurd und brutal in den Reflexionen eines tragischen Schicksals, dessen Erinnerungen sich mit der Zeit verzerren, von seiner großen Liebe, seinem angelnden Vater und schließlich von seinem Aufbruch in den Krieg.

Joes Fantasien stricken sich weiter, von der Zeit, die er verpasst, da er im Krankenbett liegt, von den wenigen Einbrüchen der Realität, die er erlebt.

In starker Bildsprache und eindrucksvollem Spiel der Darsteller stellt sich ein Panoptikum dar, umgeben von der eigenartigen Atmosphäre des Instituts für Zukunft (IfZ), das Leipzigern überwiegend als Veranstaltungsort exzessiver Natur bekannt ist, der ähnlich abgetobt wirkt.

Da geht die rauschhafte Reise durch die Kriegszeit, mit bösen und schwarzhumorigen Bildern. Nur milde wird das Ereignis abgeschwächt durch müdes Timing, schleppend lange Szenen mit mehr Text als das Ohr zum Bild verarbeiten kann, im Wechsel mit einem noch länger wirkenden Hörspiel, das in Dopplungen und Längen einem den schweren Erkenntnisprozess des armen Joe Bonhams wiedergibt.

Doch wer weiß, wäre das Tempo zu sehr erhöht worden, so hätte am Ende das Gefühl gelitten.

In rund zwei Stunden bleiben die Sinne auf jeden Fall nicht unberührt, und die Freude ist groß, dass es eine engagierte, junge, freie Szene gibt, die sich mit ihrem kreativen Potential jenseits der Häuser einen Weg nach draußen wühlt.

Johnny zieht in den Krieg

Produktion: Christoph Meißner, Ulrike Kerrmann, Georg Paco Ludwig Nitschke

Darsteller: Benjamin Ahlmeyer, Akamerot, Laura Bein, Martin Burkert, Anna Hübner, Paula Feicke, Felix Fonseca Kerkhoff, Max Frücht, Anna Meyer, Alina Tillenburg, Alina Zitzmann

Institut für Zukunft, Kohlrabizirkus, Premiere: 12. Juni 2015


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