Was bleibt nach der Buchmesse?

Vier Tage Buchmessenwahnsinn in Leipzig sind vorbei. Welche Bücher man nun mit in die Osterfeiertage nehmen sollte, das weiß Almanach-Autor Fabian Stiepert

Christoph Ribbat:
„Im Restaurant: Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne“

Gehen Sie gerne essen? Natürlich tun Sie das, wer denn nicht. Weil dem so ist, hat der in Paderborn lehrende Amerikanist Christoph Ribbat ein Buch über die Geschichte des Restaurants geschrieben. Im europäischen Raum fängt die öffentliche, kapitalistische Kulinarik in – wie sollte es anders sein – Frankreich an. Kurz vor der französischen Revolution eröffneten die ersten Restaurants in Paris und mit den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten entwickelte sich daraus eine ganz eigene Kultur von der Restaurantkritik bis hin zur Systemgastronomie, die Ribbat in seiner fußnotenreichen wie hoch unterhaltsamen Studie auch nicht außen vor lässt. Bemerkenswert ist neben dem Quellenreichtum dieses Buches sein erzählerischer Aufbau. Wie einst in Florian Illies’ Bestseller 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts fügen sich Ribbats Geschichten wie ein Mosaik in kurzen Einzelepisoden zusammen. Manchmal stiftet dies ein wenig Verwirrung, umso öfter sorgt es aber für Überraschungen. Darum gilt: Da jeder gerne essen geht, sollte auch jeder dieses Buch lesen.

Erschienen bei Suhrkamp

220 S., 19,95 €



Karen Duve: „Macht“

Eins der schon vor der Messe am heftigsten diskutierten Bücher ist Karen Duves neuer Roman Macht. Geschlagene acht Jahre nach dem brutal realistischen Roman Taxi entführt uns die Autorin in eine graue Dystopie, in der es um die Menschheit im Jahr 2031 alles andere als gut bestellt ist. Dank grenzenlosem Fleischkonsum und hemmungsloser Autofahrerei ist die Erde hinsichtlich ihrer Ressourcen und ihres Klimas so überlastet, dass die Apokalypse jeder Zeit zu nahen scheint. Da kann in Deutschland nicht mal mehr die feministische Demokratie Abhilfe schaffen, die kurzerhand mit einem rein weiblich besetzten Kabinett die Regierung übernommen hat. Einzig das Amt des Bundeskanzlers hat man als Gnadenbrot für die Männer dem einstigen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz überlassen. Als ob das alles nicht schon reichen würde, gibt es auch noch die Hormonpille Ephebo, dank der man sich im Alter von fünfzig aufwärts wieder in den Körper eines Zwanzigjährigen zurückverwandeln kann. Die Krux an der Sache ist nur, dass mit dem Konsum von Ephebo das Krebsrisiko um satte 60 Prozent ansteigt. Keine Frage, dass trotzdem alle in ihrer Sehnsucht nach ewiger Jugend fleißig diese Wunderpille schlucken.

Völlig angenervt von seiner bröckelnden Umwelt ist Sebastian Bürger, der Anti-Held dieses Romans. Dieser hat einfach seine Frau, die zuvor das Amt der Umweltministerin bekleidet hatte, in seinen Keller eingesperrt, und drangsaliert und missbraucht sie ganz nach seinem Gefallen. Was über lange Zeit zu Sebastians Freude gut funktioniert hat, wendet sich komplett gegen ihn, als er auf einem Klassentreffen seine Jugendliebe Elli wieder trifft.

Zugegeben, der Plot dieses Romans ist nicht gerade spannungsgeladen oder gar erfreulich in Anbetracht all der Grausamkeiten, die hier auf knapp 420 Seiten untergebracht werden. Der Autorin aber den „Abschied von der Literatur“ zu attestieren, wie es beispielsweise die FAZ getan hat, das geht nun wirklich zu weit, denn Macht ist schlichtweg ein passabler Roman, der an vielen Stellen Karen Duves Talent für bitterböse Komik aufblitzen lässt. Man stelle sich nur vor, ein im Literaturbetrieb als Genie etablierter Autor wie Bret Easton Ellis oder Michel Houellebecq hätte anstelle von Karen Duve dieses Buch geschrieben. Die Lobeshymnen hätten mit Sicherheit kein Ende gefunden.

Erschienen bei Galiani

416 S., 21,99 €



Birgit Vanderbeke: „Ich freue mich, dass ich geboren bin“

Über dieses Buch braucht man nicht viele Worte verlieren. Lange, wirklich lange ist nichts mehr so banales in einem großen Verlagshaus erschienen wie dieser völlig misslungene Roman von Birgit Vanderbeke, die den meisten wohl durch ihr Buch Das Muschelessen bekannt ist. Das vorliegende, neueste Buch ist offensichtlich autobiographisch. Es beschreibt den Aufenthalt im Aufnahmelager nach der Flucht der Familie der namenlosen Erzählerin, die in den 1960ern von Ost- nach Westdeutschland geflohen ist. Auf 160 sehr langweiligen Seiten geht es um Kindergeburtstage, Gaststättenbesuche und Termine beim Kinderarzt. Zwischendrin will uns die Autorin noch irgendwie vermitteln, wie sie die Literatur für sich entdeckt hat. Leider gelingt ihr das nicht, weil sie die banalen Dinge des Lebens nicht glaubhaft durch staunende Kinderaugen zu schildern vermag. So passiert es dann wohl, dass man dieses Buch direkt nach dem Lesen wieder vergisst. Schade drum.

Erschienen bei Piper

160 S., 18 €



Peter Stamm: „Weit über das Land“

Beim neuesten Roman von Peter Stamm erleben wir den Schweizer mal wieder in Hochform. In Weit über das Land geht es um Thomas und Astrid, ein Paar mit zwei Kindern, wohnhaft in soliden Verhältnissen in einem Schweizer Vorort. Eines Abends, die gesamte Familie ist gerade erst aus dem gemeinsamen Sommerurlaub zurückgekehrt, steht Familienvater Thomas auf und verlässt seine Familie, ohne auch nur mit einem Wort Bescheid zu geben. Seine Frau Astrid bleibt mit den Kindern alleine zurück und gibt ihr bestes, um Thomas wiederzufinden. Ob ihr das gelingt, macht nicht die Spannung dieses Buches aus. Viel mehr braucht es die geschulte Aufmerksamkeit des Lesers, um aus manchen Textstellen im Konjunktiv die nötigen Informationen zum Verständnis dieses Romans zu sammeln. Hilfreich ist dafür auch fraglos eine zweite, intensive Lektüre. Wer das Buch am Ende ratlos zuklappt, der hat einfach nicht richtig hingelesen bei diesem Meisterwerk, das auf den ersten Blick einfach erscheint, aber nur bei bester Aufmerksamkeit in Gänze zu verstehen ist. Dank Stamms Unbestechlichkeit in Sachen schnörkelloser Sprache ist dies ein Kunstwerk von existentialistischer Wucht.

Erschienen bei S. Fischer

224 S., 19,99 €



Laurie Penny: „Babys machen“

Laurie Penny ist neben Emma Watson und Chimamanda Ngozi Adichie eine der hipsten Feministinnen unserer Tage. Ihre Texte und Manifeste sind gut verständlich und frei von Schwurbeleien, wie man sie Judith Butler und Konsorten immer wieder zum Vorwurf macht. Nun hat Penny, die ihre Übersiedlung von London nach Berlin bereits angekündigt hat (wohl ihrem großen Erfolg in Deutschland geschuldet), einen Band mit Kurzgeschichten verfasst. Hier trifft der Leser auf Roboter-Babys, erlebt grauenvolle Geschäftstermine im Strip-Club, liest von Horrorvisionen prekärer Arbeitsverhältnisse in der Fastfood-Industrie und erfährt zudem, wo unsere Gebete wirklich landen, wenn wir den Herrgott um Hilfe bitten. Keine große Literatur von langer Halbwertszeit, aber als Unterhaltungsliteratur betrachtet sind diese Kurzgeschichten ein Riesen-Jux und in ihrem feministisch-gesellschaftskritischen Bestreben letzten Endes nicht weniger ernst zu nehmen als Laurie Pennys andere Bücher.

Erschienen bei Edition Nautilus

176 S., 19,90 €



Antonia Baum: „Tony Soprano stirbt nicht“

Eine junge Autorin und Journalistin schreibt einen Roman und wenige Wochen vor der Veröffentlichung holt sie ein Teil davon in der Realität ein. Die Rede ist von Antonia Baum, die 2011 eher holprig mit ihrem Debüt-Roman Vollkommen leblos, bestenfalls tot im Literaturbetrieb gelandet ist und sich mittlerweile als Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als Expertin für Hiphop und Rap einen Namen gemacht hat.

In ihrem schmalen Prosa-Band Tony Soprano stirbt nicht verarbeitet Antonia Baum den Schock, den ein schwerer Motorradunfall ihres Vaters bei ihr ausgelöst hat. In ihrem kurz vor dem Unfall fertig gestellten Roman Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren spielt auch ein ewig auf der Überholspur lebender Vater eine zentrale Rolle. Kann es also sein, dass die Realität die Fiktion überlagert?

Noch viel mehr verunsichern die Autorin die Besuche bei ihrem Vater im Krankenhaus. Wie verhält man sich bloß, wenn der eigene Vater an Maschinen angeschlossen und in Lebensgefahr schwebend vor einem liegt? Antonia Baum erinnert sich an ihre Lieblingsserie Die Sopranos, in der die Hauptfigur Tony einst von seinem dementen Onkel Junior angeschossen wird und dann ebenfalls schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wird. Offenbar sind Serien nicht nur die epischen Romane des 21. Jahrhunderts, sondern auch ratgeberartige Wegweiser fürs Leben geworden.

Tony Soprano stirbt nicht zeigt eine reifer gewordene Autorin, die sich mal flapsig, mal durchaus intellektuell mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzt. Man darf hier von Könnerschaft sprechen, wenn es darum geht, das eigene Leben in Kunst zu verwandeln.

Erschienen bei Hoffmann & Campe

144 S., 18 €



Heinz Strunk: „Der goldene Handschuh“

Heinz Strunk ist fraglos einer der größten Humoristen der deutschen Gegenwart. Allein auf seinem letzten Album Sie nannten ihn Dreirad konnte man gefühlt alle zwei Liedzeilen einen Lacher verbuchen. Nun hat Heinz Strunk einen neuen Roman verfasst und für ihn erweist sich dieses Buch kommerziell wie literaturbetriebstechnisch als Quantensprung. Der Roman ist auf der Spiegel-Bestsellerliste, das Feuilleton ist einhellig voll des Lobes, und das völlig zurecht. Heinz Strunk hat einen Roman über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka geschrieben, der in den Jahren 1970–74 vier Frauen ermordet hat. Der titelgebende „goldene Handschuh“ ist eine Hamburger Kiezkneipe, die bis heute auf St. Pauli besteht und vermutlich auch noch in 60 Jahren geöffnet haben wird. Denn hier wird nicht gemütlich gepichelt, sondern richtig gesoffen und vor über 40 Jahren war es erst recht der richtige Ort für Fritz Honka, um dort seine Opfer ausfindig zu machen.

Dieser in seinen Elendsschilderungen zeitweise schwer auszuhaltende Roman zeigt uns Fritz „Fiete“ Honka nicht als „Bestie Mensch“, wie es anhand seiner Taten naheliegend wäre, sondern als – wie Strunk selbst sagt – „armes Würstchen“, welches Zeit seines Lebens viel Mist erlebt hat, aber immer wieder der Hoffnung anhing, dass alles mal besser wird. Gleichzeitig kann diese schwierige Biographie natürlich nicht als Rechtfertigung herhalten für die Ermordung und Zerstückelung von vier mittellosen Frauen.

Als besonderer Kniff in Strunks Erzählung ist hervorzuheben, dass er parallel zum Geschehen rund um Fritz Honka noch eine alteingesessene Reederei-Familie aus den besseren Kreisen Hamburgs porträtiert. Auch hier sind die Männer frauenfeindlich, cholerisch und sadistisch. Dass Geld und Wohlstand einen nicht automatisch zum besseren Menschen machen, ist nun keine bahnbrechend neue Erkenntnis. Aber lange wurde sie nicht mehr so eindrücklich verkündet wie in diesem wirklich großartigen Roman.

Erschienen bei Rowohlt

256 S., 19,95 €



Thea Dorn: „Die Unglückseligen“

Thea Dorn hat sich vor einiger Zeit nahezu gänzlich aus dem Fernsehgeschäft zurück gezogen, um sich wieder mehr dem Schreiben widmen zu können. Herausgekommen ist dabei ihr neuestes Werk Die Unglückseligen. Heldin des Romans ist Johanna Mawet, eine deutsche Molekularbiologin, die während ihres Aufenthalts in den USA eine schräge Entdeckung macht. Über Umwege trifft sie auf einen Mann, der offenbar bereits weit über 240 Jahre alt ist. Wie kann das nur sein, wo der älteste Mensch doch bislang nur 122 Jahre alt geworden ist? Nach einiger Zeit erfährt sie, dass es sich bei ihrer Bekanntschaft um den Physiker Johann Wilhelm Ritter handelt, der laut Wikipedia eigentlich schon seit dem Jahr 1810 nicht mehr unter uns weilt. Nun liegt es also ganz an Johanna, herauszufinden, wie ihr schräger Kompagnon die Sterblichkeit besiegt hat.

Was als grundlegender Plot wirklich vielversprechend und spannend klingt, scheitert leider an Dorns sprachlichen Fähigkeiten. So begnadet sie als Rhetorikerin auch sein mag, so limitiert sind ihre Mittel des literarischen Ausdrucks. Mal fällt die Sprache geschwollen und blasiert aus, an anderer Stelle ist der Duktus so flapsig, dass man sich fast schon im Groschenroman wähnt. Unter einer neuen, zeitgemäßen Bearbeitung des Faust-Stoffs wollte es Thea Dorn offenbar nicht machen. Dass ihr dabei nur ein aufgeplusterter Unterhaltungsroman gelungen ist, macht die Sache dann doch ärgerlich und nach und nach immer lästiger zu lesen.

Erschienen bei Knaus

560 S., 24,99 €



Lyrik von Nora Gomringer und Marion Poschmann

Nachdem im vergangenen Jahr Jan Wagners wunderbare Regentonnenvariationen (s. Leipzig-Almanach vom 22.10.14) den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hatte, nominierte man dieses Jahr wieder einen Lyrikband in der Sparte Belletristik. Leider sind die Gedichte Marion Poschmanns nicht ansatzweise so einnehmend wie die ihres Kollegen Jan Wagner. Hier herrscht eher intellektuelle Unterkühltheit, die sich der Beschreibung von neun Orten von Berlin-Lichtenberg bis Kyoto annimmt. Wer von der „borealen Nadelwaldzone“ oder der „Institution im moosgrünen Perlonpullover“ lesen mag, der ist hier richtig aufgehoben. Zumindest beweist Marion Poschmann damit, dass moderne Lyrik doch nach wie vor Geschmackssache und eher schwerlich ins Spotlight der aktuellen Literaturkritik zu zerren ist.

Etwas anders verhält es sich da mit der Arbeit von Nora Gomringer. Spätestens seit ihrem siegreichen Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Preis letztes Jahr scheint die Lyrikerin und begnadete Rezitatorin in aller Munde. Ihr wunderschön gestalteter Band Morbus ist was für alle außer Hypochonder, denn in den knapp zwei Dutzend Gedichten geht es um nichts anderes als Krankheiten. Von A wie Alzheimer bis W wie Wahnsinn ist dabei alles vertreten. Wer dabei meint, der Gedichte in eigener Lektüre nicht Herr zu werden, der greife zur beiliegenden CD und lausche der Rezitation der Dichterin.

Als ergänzende Lektüre dazu sei auf den Band Ich bin doch nicht hier, um sie zu amüsieren hingewiesen. Hier gibt es zwar keine Lyrik zu lesen, dafür schreibt Nora Gomringer aber nicht weniger eloquent über die deutsche Sprache, Lyrik im Allgemeinen und ihre Vorliebe fürs Fernsehglotzen. Dem Titel muss dann doch irgendwo widersprochen werden: es handelt sich durchaus um ein höchst amüsantes Buch!

Geliehene Landschaften

Marion Poschmann
Suhrkamp 2016

118 S., 19,95 €


Morbus

Ich bin doch nicht hier, …

Nora Gomringer

Beide: Voland und Quist 2015

64 S. und 144 S., 17,90 € und 15,90 €


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