Superhelden überall

Warum produziert Hollywood einen Superheldenfilm nach dem anderen? Eine (unvollständige) Bestandsaufnahme

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Rennen, um die Welt zu retten: Das ist auch im aktuellen „The First Avenger: Civil War“die Devise. (Foto: Marvel)

Ein Blick auf die Starttermine dieses Jahres verrät es schon: Die Kinoleinwände sind fest in den Händen von Superhelden. Erst im März startete Batman v Superman, zurzeit läuft The First Avenger: Civil War, im Mai geht es weiter mit X-Men: Apocalypse, dann noch Doctor Strange und Suicide Squad. Und der Plan für 2017 sieht nicht anders aus. Selbst wenn man den Fernseher einschaltet, nichts als Superhelden: Netflix hat Daredevil und Jessica Jones, Warner produziert für The CW The Flash, Arrow und Legends of Tomorrow, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Was ist da los in Hollywood?

Zugegeben, Superhelden waren nie wirklich von der großen Leinwand verschwunden. Sie fanden immer ihr Publikum, allein Spider-Man war seit den 1970er-Jahren in mehrfachen Neuauflagen zu sehen. Aber irgendetwas ist anders. 2005 gab Christopher Nolan der Welt der Comicverfilmungen mit seiner Batman-Trilogie neuen Input. Die Feuilletons waren förmlich aus dem Häuschen und lobten die neue dunkle Tiefgründigkeit, die Christian Bales Batman ausstrahlte. Dann kam das Jahr 2008, und der erste Iron Man-Film mit einem launigen Robert Downey Jr. in der Hauptrolle erschien. Marvel produzierte den Film selbst, nachdem die Rechte jahrelang von Studio zu Studio gewandert waren.

Mit jedem neuen Film begann Marvel sein Universum aufzubauen und brachte mittlerweile 13 Filme in die Kinos, von denen eigentlich keiner ernsthaft floppte. Selbst solch zunächst unscheinbare Helden wie Ant-Man erwirtschaften an der Kasse respektable 520 Millionen Dollar. Iron Man– und die Avengers-Filme setzen zudem neue Bestmarken, indem sie gleich die Milliarden-Hürde nehmen. „Höher, schneller, weiter“ ist das Motto. Auch DC Comics möchte da natürlich nicht hintenanstehen und legt zusammen mit Warner Brothers nach (Man of Steel, Batman v Superman).

Die Geschichte der beiden Comichäuser reicht lange zurück. Gegründet wurden beide in den 1930er-Jahren in den USA: 1934 (DC Comics) und 1939 (Marvel). Besonders während des Zweiten Weltkriegs erfreuten sich in Amerika Figuren wie Superman und Captain America großer Beliebtheit. Die Vorstellung, die Bösewichte verdientermaßen mit Superkräften zur Strecke zu bringen, besaß zu diesem Zeitpunkt logischerweise große Anziehungskraft. Danach begann das sogenannte Golden Age of Comic Books. Zahlreiche Helden wurden erschaffen und noch heute gültige Standards für Dramaturgie und Erzählduktus gesetzt.

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Das fehlte noch in der Biografie: Eben war Jennifer Lawrence (links) nochim 4. Teil der „Tribute von Panem“-Sagazu sehen, jetzt spielt sie bei„X-Men: Apocalypse“ mit. (Foto: Twentieth Century Fox)

Eine riesige Fangemeinde entstand, die aber zunehmend in die Nerd-Nische gedrängt wurde. Wer sich wirklich mit den Helden auskannte, zu Conventions fuhr und stundenlang über den liebsten und besten Mutanten oder Schildwerfer philosophierte, galt als verschroben. Doch dies ist mit den neu entstandenen Filmen schon lange nicht mehr der Fall. Die adäquate Rezeption der Heldenfilme gehört längst zum Mainstream der Popkultur. Selbst in Deutschland schreiben sich FAZ, SZ und ZEIT die Finger wund, um dem geneigten Leser die Filme zugänglich zu machen. In umfangreichen kulturphilosophischen Abhandlungen ist da zu lesen, warum Amerika und die ganze Welt nach 9/11 die Helden so nötig hat. Aber auch, warum sie seit ihrer Erschaffung zunehmend ambivalenter werden. Die Postmoderne hat die Psyche der starken Retter ebenfalls ereilt, und eine klare Einteilung in Gut und Böse, wie sie allenthalben zu Zeiten des Kalten Krieges tauglich war, gehört der Vergangenheit an. An der Superhelden-Thematik können sich verschiedene Leute ganz unterschiedlich reiben, mancher Zuschauer freut sich vielleicht auch nur, dass der vermeintliche Außenseiter zum Weltenretter wird und staunt über die gebotenen Schauwerte. Und Schauwerte haben die Filme allemal.

Beim gehäuften Anschauen der Streifen sticht besonders die Bildgewalt hervor. Hochhäuser krachen auf einen nieder, CGI-Wunder und aufwendig inszenierte Kampfszenen lassen die Augen förmlich überlaufen. Die Handlung ist da manchmal zweitrangig, und ein flotter Spruch zwischen den Kämpfen erfährt beim Publikum mehr Liebe als ein gut ausgearbeiteter (in sich logischer) Plot. Das erinnert stark an das Cinema ofAttractions, wie wir es eigentlich aus den Anfängen des Films kennen.

Diese Schauwerte kosten natürlich auch ihr Geld. Ein Film alleine kostet zwischen 100 und 200 Millionen Dollar. Nicht nur die Effekte wollen bezahlt werden, nein, auch die Stars und Sternchen, die sich zunehmend in hoher Zahl in den Heldenfilmen tummeln. Heute gehört es fast zum guten Ton, wenigstens einmal in einem Superhelden-Franchise aufzutauchen, wenn auch nur als Bösewicht. Diese Ausgaben sind für die Filmstudios ein großes Risiko, schließlich muss das Geld wieder eingespielt werden, sonst geht es einem an den Kragen. Und hier eröffnet sich die Krux, die ganz Hollywood erfasst hat: Produziere sichere Kassenschlager nach altbekanntem Rezept, dann wird das schon mit dem Erfolg.

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Die Filmförderungsanstalt (FFA) in Deutschland fördert nicht nur Filme, sondern hat auch die Aufgabe, statistisches Zahlenmaterial auszuwerten. In einer der letzten Veröffentlichungen im April offenbart sich ein in den letzten Jahren immer evidenter werdendes Phänomen: Die Umsätze an den Kinokassen steigen signifikant (2015 war das umsatzstärkste Jahr der deutschen Kinogeschichte, Vergleichbares gilt auch für andere Länder), doch der Großteil davon entfällt auf immer weniger Filme. So waren die Top-Ten-Filme allein für 43 Prozent des Gesamtumsatzes verantwortlich. Das Motto „Höher, schneller, weiter“ scheint aufzugehen. Doch eben nur für einige Filme. Es gibt auch immer wieder Flops, was die Studiobosse mehr und mehr nach der sicheren Formel greifen lässt.

Und Superhelden-Filme erfüllen diese Standards hervorragend. Marvel hat schon mal den dritten Avengers-Films und den vierten Iron Man angekündigt. Das Marvel CinematicUniverse lässt sich beliebig weit aufblähen. Liebgewonnene Figuren lassen sich in immer neue Abenteuer unterbringen, und, was viel wichtiger ist, sie lassen sich weltweit vermarkten. Denn längst sind die Einnahmen aus den USA nicht mehr genug, um die aberwitzigen Budgets zu finanzieren. Fast jeder erfolgreiche Film zieht ungefähr die Hälfte (manchmal sogar mehr als 60 Prozent) seines Umsatzes aus dem Foreign Box Office. Wichtige Märkte sind vor allem China oder Südkorea.

Diese Analyse lässt sich nicht nur auf die Superhelden anwenden. Die meisten größeren Produktionen sind davon betroffen. Es ist also kein Wunder, wenn wir den fünften Fluch der Karibik oder vier Teile von Tribute von Panem geboten bekommen. Erfolgreiche Filme, die keinem Franchise angehören und ein mittleres Budget aufweisen, sind zur Seltenheit geworden. Auch für den Independent-Bereich sieht es mau aus, da natürlich weniger Kapital für ambitionierte, aber auch risikobehaftete Filme übrigbleibt.

So unterhaltsam die Superheldenfilme daherkommen (und das sind sie bei allen Mängeln dann doch), stehen sie für ein Phänomen der Filmbranche, das sich zunehmend zu einer Blase ausweitet, die bald platzen könnte. Denn wie lange können die Superlative noch tragen? Die Branche befindet sich wegen der wachsenden Streamingdienste sowieso in einem Umbruch. Händeringend wird nach Strategien gesucht, die jungen Zuschauer in die Kinosäle zu locken. Ob die Lösung allerdings darin besteht immer mehr, immer teurere Fortsetzungen und Franchises zu lancieren, bleibt jedoch fraglich.

The First Avenger: Civil War

USA 2016, 146 Minuten

Regie: Anthony & Joe Russo; Darsteller: Chris Evans, Robert Downey Jr., Scarlett Johansson

Kinostart: 28. April 2016


X-Men: Apocalypse

USA 2016, 143 Minuten

Regie: Bryan Singer; Darsteller: Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Oscar Isaac

Kinostart: 19. Mai 2016


Weiterführende Links: www.ffa.de

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