Lachen, Weinen, Streiten

David Grossmann entführt uns in einen Comedyclub, Hans-Ulrich Treichel lässt eine trauernde Mutter erzählen, Monique Bizot schreibt bemerkenswerte Prosa und Juli Zeh mausert sich zur Volksschriftstellerin

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David Grossmann: Kommt ein Pferd in die Bar

Standup-Comedy ist eine eigenwillige Kunst. Sie braucht nicht mehr als einen versierten Erzähler und ein Mikrophon, um hunderte Menschen einen ganzen Abend lang unterhalten zu können. Dovele, der Comedian in David Grossmans neuestem Roman Kommt ein Pferd in die Bar, ist ein solcher Erzähler und man darf ihm einen ganzen Abend lang folgen. Auf 250 Seiten redet und schimpft Dovele auf sein Publikum ein, macht artistischen Schabernack und packt letzten Endes seine ganz persönliche Lebensgeschichte aus. Es soll offenbar sein letzter Auftritt als Comedian sein. Er hat extra einen alten Schulfreund eingeladen, der lange Zeit als Richter gearbeitet hat und sich genau ansehen soll, was Dovele da verzapft. Handwerklich absolut raffiniert ist es, wie Grossman den alten Schulfreund als Ich-Erzähler erst nach einigen Seiten in den Text hineinschmuggelt. In der Tat lässt sich wohl sagen, dass kein anderes Buch so erzählt ist wie dieses, und man tut am besten daran, es ohne Vorwissen über die eigentliche Rahmenhandlung hinaus zu lesen. So ergibt sich ein kurzweiliger, wenn auch herzzerreißender Lesegenuss.

Erschienen bei Hanser

256 S., 19,90 €


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Hans-Ulrich Treichel: Tagesanbruch

Die Bücher von Hans-Ulrich Treichel verhandeln oft das Fehlende; eben jene Leerstellen, die fast jeder in seiner Biographie finden kann, wenn er sich mit näherer oder ferner Verwandtschaft beschäftigt. In seinem neuen Buch, der schmalen, aber wuchtigen Erzählung Tagesanbruch, erzählt eine Mutter, die ihren toten Sohn in den Armen hält. Ihre Erzählung vor dem zur Stummheit gezwungenen Zuhörer wird zur Bilanz und Beichte ihres Lebens. Sie schildert ein in aller Knappheit sehr plastisches Nachkriegsdeutschland, ihren kriegsbedingt invaliden Ehemann und die Anschaffung eines Klaviers, das vom Gewinn eines Textilfachgeschäfts finanziert wurde. Eigentlich alles sehr gewöhnlich, was da so aufs Tapet gebracht wird. Der Knackpunkt kommt dann, als die Mutter andeutet, dass ihr Sohn seine Existenz eventuell einem schrecklichen Verbrechen verdanken dürfte. Hans-Ulrich Treichel spricht damit ein bis heute tabuisiertes Thema an, über das viele, die die Nachkriegszeit noch miterlebt haben, bis heute schweigen. Somit führt uns diese Erzählung an den Kern jenes Stoffs, mit dem sich dieser Autor, der auch als Professor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig lehrt, Zeit seines Schaffens auseinandersetzt.

Erschienen bei Suhrkamp

86 S., 17,95 €


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Véronique Bizot: Menschenseele

Beim Durchblättern des Katalogs des ehrenwerten Steidl-Verlags fiel Véronique Bizots Roman Menschenseele sofort ins Auge. Beim raschen Durchgucken hätte man anhand des Umschlagbildes denken können, dass es sich um eine weitere Neuauflage eines Werks von Günter Grass handelt. Immerhin hält der Steidl-Verlag auch nach dem Tod des deutschen Großdichters noch die Weltrechte an dessen Werk. Bizots Prosa lässt aber an einen ganz anderen Giganten der deutschen Nachkriegsliteratur denken, nämlich an Thomas Bernhard. So verschachtelt, aber auch vergnüglich sind ihre Satzgirlanden, die in ihrer kunstvollen Aneinanderreihung von keinem Absatz unterbrochen werden. Auch das Setting (ein einsam und verlassen gelegenes Bauernhaus in der französischen Provinz) und die Charaktere Bizots (ein verschrobener Theaterautor und sein treusorgender Nachbar) erinnern an den großen Grantler aus Österreich, ohne ihn dezidiert zu kopieren. Bizot siedelt sich selbst damit fernab von allem an, was wir mit „weiblichem Schreiben“ assoziieren, und mausert sich zum Geheimtipp dieses Sommers.

Erschienen bei Steidl

146 S., 18 €


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Juli Zeh: Unterleuten

Juli Zeh ist wieder da und hat vom kleinen Schöffling-Verlag zu Luchterhand gewechselt. Ihre erste Veröffentlichung dort ist ein groß angelegter Gesellschaftsroman mit dem bewusst zweideutigen Titel Unterleuten. Unterleuten ist der Name eines fiktiven Kaffs in der Mark Brandenburg und die Vorgänge in diesem Dorf, das sich Zeh als Spiegel der gesamtdeutschen Gesellschaft zurechtkonstruiert hat, bilden die Handlung der stattlichen 650 Seiten. So wohnt in Unterleuten unter anderem Gerhard Fließ, der seine Professorenstelle im lauten und überfüllten Berlin an den Nagel gehängt hat und sich im Dorf mit seiner ehemaligen Studentin Jule als frisch gebackener Familienvater niedergelassen hat. Linda und Frederik Franzen sind ebenfalls Stadtflüchtlinge und wollen ihrem zu renovierenden Haus noch eine Pferdekoppel hinzufügen. Ob sich die alteingesessenen Unterleutener wie der bärige Schaller, der mit Autogeschäften sein Geld macht, mit den Zugezogenen verstehen, ist nur ein unterschwelliger Konflikt. Erst als ein undurchsichtiger Investor für Windparks in der Dorfgaststätte seine Baupläne unterbreitet, bricht in Unterleuten ein Kleinkrieg aus.

Seit nun fast einem halben Jahr hält sich dieser durchaus süffig geschriebene Schmöker in den Bestsellerlisten. Juli Zeh hat sich nach langer Ochsentour durch Talkshows und Auftritten bei Demonstrationen nun zur Erklärerin der Lage der Nation hoch gearbeitet. Die Absatzzahlen ihrer Bücher seien ihr als Belohnung für dieses Engagement absolut vergönnt. Wenn man nun aber strenge Maßstäbe an einen im Breitbildformat erzählten Roman anlegt, dann hat Unterleuten eindeutig seine Schwachstellen. So ist der gesamte Roman von erschreckender Humorlosigkeit. Dies fällt vor allem auf, wenn man als Leser selbst durch Freunde und Verwandte mit den Skurrilitäten des Provinzlebens vertraut ist. Auch sprachlich kriegt man es eher mit einer dynamisierten Gebrauchsprosa zu tun, der es an Saft und Kraft mangelt, um wirklich eindrückliche Szenen zu hinterlassen. Das schwache Ende, bei dem man fast vermuten möchte, dass sich die Autorin für ihren tollen Stoff selbst auf die Schulter klopft, hinterlässt einen finalen faden Beigeschmack.

Trotz seiner offensichtlichen Mängel ist Unterleuten ein passabler, kurzweiliger Pageturner. Eben das, was sich der Deutsche so unter gehobener, aber formal nicht fordernder Literatur vorstellt.

Erschienen bei Luchterhand

640 S., 24,99 €


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