Wer spricht da?

Die phantomhafte Autorin Elena Ferrante löst mit ihrer Quatrologie rund um Neapel und eine Frauenfreundschaft einen riesigen Wirbel aus – doch der Hype tut dem Roman nicht gut

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Der Literaturmarkt ist die kommerzielle Sparte der Kunst, in der es in der Regel nur wenig Geld zu holen gibt, wenn man nicht zu den absoluten Topsellern wie Stephen King oder Joanne K. Rowling gehört, deren beider Kontostände sich in den höheren, dreistelligen Millionenbereichen befinden sollten. Für die in Deutschland wie aus dem Nichts aufgetauchte Elena Ferrante läuft es zurzeit auch ziemlich gut, vor allem wenn man bedenkt, dass es zu dieser Italienerin nur undeutliche Randinformationen gibt. Alles, was wir über Elena Ferrante wissen, ist, dass sie einst an einer Universität eine Position bekleidet hat, Mutter ist und natürlich aus Italien stammt. Einige schenken diesen dürftigen Informationen eher wenig Glauben und vermuten, dass sich hinter Elena Ferrante ein Mann verbirgt oder gar ein ganzes Autorenkollektiv. Theoretisch sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, diesem Phantom von Autorin ein Gesicht zu verleihen.

Nun ist vor wenigen Wochen der erste Band von Elena Ferrantes vierteiligem Romanzyklus über Neapel erschienen. Auch diese Viergeteiltheit ist bemerkenswert, wenn man an die sonstigen dreibändigen Erfolgsmodelle denkt wie „Der Herr der Ringe“ oder „Die Tribute von Panem“. Trotzdem haben die vier Bücher einen international grassierenden Lektürerausch herbei geführt, dem die Nutzer der sozialen Netzwerke mit dem Hashtag „#ferrantefever“ Ausdruck verleihen. Sogar Hillary Clinton meinte: „It´s just hypnotic“. Und in einem Promo-Clip für den Reboot der wunderbaren „Gilmore Girls“ empfiehlt Alexis Bliedel in ihrer Rolle als Rory Gilmore der noch amtierenden First Lady Michelle Obama die vier Bücher als Reiselektüre.

Dabei bietet der erste Band „Meine geniale Freundin“ (Band 2 folgt Anfang des kommenden Jahres auf Deutsch, und dann geht es im Halbjahresrhythmus weiter) literarisch wie sprachlich nichts genuin Neues. Zu Beginn des Romans erhält die Erzählerin Elena einen Anruf von Rino, welcher der Sohn ihrer titelgebenden genialen Freundin Lila ist. Seine Mutter Lila sei verschwunden, so Rino, seit zwei Wochen habe er nichts mehr von ihr gehört oder gesehen. Irritiert von dieser besorgniserregenden Nachricht beginnt Elena die Kindheit und Jugend nieder zu schreiben und füllt damit die restlichen 95 Prozent der rund 420 Buchseiten.

Vorangestellt ist dem Text ein langes, erstmal erschlagend wirkendes Kompendium mit Namen aller auftretenden Figuren. Das sollte einem aber nicht zu viel Angst bereiten, da viele der Figuren wirklich nur ganz am Rande eine Rolle spielen. Die gesamte Handlung ist sehr fokussiert auf die beiden Mädchen Lila und Elena, die einander erstmals begegnen, als ihrer beider Puppen verloren gehen und sie sich diese vom Grundstück eines grummelig-gruseligen Nachbars zurückholen müssen.

Darauf folgt die Schulkarriere der beiden. In den 1960er-Jahren herrscht im neapolitanischen Viertel Rione ein reges Gewusel. Für die Biographien der beiden Mädchen ist ein Besuch des Gymnasiums eigentlich gar nicht vorgesehen. Vor allem Elena zweifelt daran, dass sie für irgendetwas Höheres auserkoren sein könnte. Lila versorgt sie aber regelmäßig mit Lesefutter von der Antike bis in die Moderne und vermittelt ihr den Spaß am Lernen. Mit Fleiß und harter Arbeit schaffen es die beiden, sich auf der Grundlage von Bildung eine neue Perspektive zu schaffen, die sie aus dem Milieu, in dem sich langsam und schleichend die Camorra breit macht, heraus führt.

Doch Lila schert unerwartet aus diesem Plan aus. Die Tochter des Schusters heiratet früh den Sohn des lokalen Lebensmittelhändlers. Die Entwicklung eines modischen wie qualitativ hochwertigen Schuhs soll das Vermögen noch vergrößern. Ob dieser Plan aufgeht, das bildet den großen Cliffhanger dieses ersten Bandes.

Es mag sein, dass Frauenfreundschaften wie die von Elena und Lila rar gesät sind in der Geschichte der Weltliteratur. Es liegt auch fern dieser Rekonstruktion des vergangenen Neapels, die zweifelsohne schon dabei ist einen kleinen Touristenansturm auszulösen, jeglichen feministischen Mehrwert abzusprechen. Trotzdem ist „Meine geniale Freundin“ nicht mehr als gut gemachte Unterhaltungsliteratur, die sich süffig und eingängig und durchaus auch mit Freude lesen lässt.

Das liegt unter anderem – und da ist Maxim Billers Meinung aus der letzten Ausgabe des Literarischen Quartetts vollauf beizustimmen – an der mangelnden Plastizität von Ferrantes Figuren. So nah einem Lila und Elena auch kommen mögen, eine optische Illusion dieser Heldinnen mag sich im Kopf nicht festsetzen. So bleibt nur ein geschriebener Text, aber die eigentliche Magie gut gemachter Literatur – das Ausdenken und Zuendedenken dessen, was man da liest – stellt sich ums Verrecken einfach nicht ein. Denkt man an einen der letzten großen Freundschaftsromane wie Donna Tartts „Der Distelfink“, so könnte ich aus der Lameng heraus beschreiben wie der Held Theodore Decker und sein ukrainischer Kumpel Boris für mich aussahen.

Kurzum: Der überdimensionierte Hype rund um Elena Ferrante tut dem Werk an sich nicht gut. Er schürt Erwartungen, die nur ganz wenige Bücher am Ende auch erfüllen können. Denn auch sprachlich offenbart sich in diesem italienischen Epos einfach nichts Neues. Die Schreibe ist durchaus flott, aber auch metaphernarm und zu aufgeräumt und zurückhaltend, als dass man sich vollauf in ihr verlieren könnte. Damit wirkt die Atmosphäre trotz der neapolitanischen Sonne unterkühlt. Der anhand dieser Prosa aufgeschlagene Radius an Emotionen reicht nicht aus, um sein Herz vollauf an diese immerhin faszinierenden jungen Frauen zu verlieren.

Es bleibt die Frage, ob diese Bücher auch ohne Ferrantes Phantomdasein sich zu einem derartigen Faszinosum entwickelt hätten. Ferrantes Auffassung, dass ein Buch für sich stehe und an sich keinen Autor benötige, wird ja allein schon von den oben erwähnten dahergesponnenen Theorien falsifiziert. Der Mensch ist in der Regel ein neugieriges Tier und will bei einem Kunstwerk immer wissen, welcher Freak mit zu viel Zeit sich das alles ausgedacht hat. Somit lässt sich abschließend nur eine weitere Hypothese aufstellen. Nämlich die, dass Elena Ferrante durchaus Grips hat, wenn es um Vermarktungsfragen geht. Sobald wir feststellen, dass sich jemand in Zeiten des Internets und ihrer sozialen Medien in dieser Form jeglichem Zugriff entzieht (wenige ausgewählte, briefliche Interviews ausgenommen), dann wurmt uns das schon sehr. So sehr, dass wir sogar bereit sind, einen 2000 Seiten starken Roman dieser Person zu lesen für eine Antwort auf die sehr simple Frage: Wer spricht da?

Meine geniale Freundin

Elena Ferrante

Erschienen bei Suhrkamp

Aus dem Italienischen von Karin Krieger

422 Seiten, 22 Euro


Band 2 „Die Geschichte eines neuen Namens“ erscheint am 30. Januar 2017


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