Kein garstig Lied, kein Pfui! und doch politisch

Kathrin Schmidts „waschplatz der kühlen Dinge“ enthält Verse, die Leben und Denken verändern könnten

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Wer poetischen Empfindens und offen ist für tagespolitische Probleme – wie das Schicksal der Flüchtenden und ihrer Nöte –, der wird diesen Gedichtband zu schätzen wissen. „Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied“, heißt es bei Goethe. Eben jene Garstigkeit des politisch ambitionierten Textes, wie sie für Feuilleton und Bonmot erst die Würze bereitet, schien zum Gesetz geworden zu sein. Der Geheimrat würde staunen, das Unmögliche scheint möglich, die Sprache der Poesie im politischen Lied.

In Zeiten, wo im Journalismus beim Wiederkäuen der Themen etwas wie ein ranziger Geschmack, ein unumgängliches Aroma bleibt, bietet sich in der Lyrik unverbrauchte Sprache an: „du gibts nun aus, was dir dein wortschatz sendet, / und sprichst den kosmos neu in synonymen“. Kathrin Schmidt, Autorin dieser Zeilen, wurde 1958 in Gotha geboren, sie studierte in Jena und Leipzig und publizierte unter anderem Gedichtbände wie Ein Engel fliegt durch die Tapetenfabrik oder Flußbild mit Engel, des Weiteren Romane und Erzählungen. Sie erhielt zahlreiche Preise, darunter 2009 den Deutschen Buchpreis für den Roman Du stirbst nicht.

Im Zyklus von fünfzehn Gedichten – „das boot setzt über“ – thematisiert sie die Flüchtenden und unsere Reaktion in politischer Auswirkung: „Was hier muslimisch knirscht am wahltagmorgen“. In den Fokus des Gedichtes geraten auch die Dichtung und die sie Ausübenden: „metaphern fliehn und lassen deutlichkeiten“. Der „staatendichter“ und andere Textwerker sind in der Kritik oder Gott selbst, von dem es heißt: „stattdessen döst er, halftert ab die sätze“. Ihr Gedicht warnt auch vor den Gefahren eindimensionalen Denkens, wenn sie in septemberkurzschrift schreibt: „dann wurde mein enkel geboren, der nichts dafür kann, keine syrische mutter zu haben“.

Im Zyklus „allertage“ feiert die Autorin in montagssachsen regionalen Bezug in teilweise deutlich ausgesprochenen Sequenzen: „sachsen hält offenbar alles bereit“. Wir lesen von ihrem Partner, der nach Sachsen und in den Alltag fährt, während sie – wie auch sonst – Alltägliches verlässt. Bei so Vertrautem gibt es „stottern, als wär ich in stötteritz“. Wir hören radegebrochenes Sächsisch und lassen uns Radeberger Pilsener schmecken.

Es ist freilich noch viel mehr mit diesen 86 Seiten. Etwa der ehemalige Funktionär, über den sie mit dem einstmals bekannten Lied des „Oktoberklubs“ spottet: „sag mir, wo du stehst“. Oder Lektüre und Pausen des Innehaltens, denn wie zur Warnung gibt uns die Dichterin mit auf den Weg: „ständig konfus sein ist / abkehr vom konfuzianismus“.

Wer mag, kann dieses Büchlein mindestens die nächsten Jahrzehnte bei sich tragen. Verse, so unverrückbar in Bodoni gesetzt und doch immer wieder neu zu lesen. Verse, die Leben und Denken verändern könnten.

Auf den Innenseiten traumhaftes Blau, vorn ein Röntgenbild auf Silbergelatine. In solcher Gestaltung von Nurten Zeren empfiehlt sich das Büchlein selber. So sei es! Vielleicht sehen die Gedichte wie Blau und Silbergelatine mit eigenen Augen?!

Kathrin Schmidt: „waschplatz der kühlen Dinge“

Kiepenheuer & Witsch

Berlin 2018

96 Seiten, 16 Euro


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