The walking dead and the talking heads

Performance in der Residenz des Schauspiels Leipzig: Der Belgier Diederik Peeters collagiert in „Erscheinungen“ nicht ganz Neues aus der Geisterwelt

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Jonas Chéreau und Diederik Peeters in „Erscheinungen“. (Fotos: Rolf Arnold)

Eine drückende Hitze ist an diesem Abend in den Theaterräumen der Spinnerei und macht das Auftreten von Geistern im halluzinatorischen Sinne schon nicht ganz unwahrscheinlich. Diederik Peeters, ein hagerer Mann mit langem blonden Haar, erwartet das Publikum in einem mit Paradiespflanzen bedruckten Anzug. Als Conferencier führt er durch einen Abend, der das Ergebnis einer zweijährigen Recherchearbeit darstellt und Teil eines Zyklus von Arbeiten zum Thema „Erscheinungen“ ist.

Magie sei ein Moment interpretatorischer Freiheit, definiert Peeters sein Sujet. Eine profane Begebenheit könne man als Zufall abtun oder als magischen Akt zelebrieren. Er verweist auf die Verabredungen in der Kunst, wenn im Theater der Zuschauer dem Schauspieler die Rolle abnimmt. Wenn im 19. Jahrhundert ein Gerät, das menschliche Stimmen aufnehmen kann, nicht als technisches Instrument genutzt wird, sondern als Geistermaschine Angst einflößt. Das Thema Geist-Magie-Erscheinung „erscheint“ hier schon seltsam unterbestimmt. Kann Peeters jegliches irrationale Erleben auf ein rationales Ereignis herunterbrechen? Er veranschaulicht es, indem er den Theatervorhang so bewegt, als würde er von selbst von rechts nach links fahren. Na ja.

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In einem zweiten Strang geht es um das Cotard-Syndrom. Eine Erkrankung bestimmter Hirnareale, die dazu führt, dass die Betroffenen kein Schmerzempfinden haben. Die Abwesenheit von Schmerzen bringt aber keinen Glückszustand hervor. Im Gegenteil. Die Betroffenen fühlen sich tot. Dies scheint dann auch Peeters‘ Zeitdiagnose zu sein. Die Projektion eines Briefwechsels aus der Zukunft spiegelt dieses Phänomen wider. Der Geist eines Toten wird im Jahr 2119 von einem sprechenden Kaktus in einen Zustand versetzt, in dem er sich für menschlich hält, es aber nicht ist. Mithilfe einer bühnengroßen Spiegelwand, vor der Peeters mit seinem Doppelgänger Jonas Chéreau optische Täuschungsmanöver vollführt, werden diese Zustände simuliert. Singende Plastikköpfe, geisterhafte Tanzeinlagen von Chéreau, dessen Identität unseren Blicken immer entzogenen bleibt, verknüpfen die disparaten Sequenzen, die schließlich in einer Gedankenreise des Publikums münden, aus der die Zuschauer lebendiger hervorgehen sollen als zuvor. Sind wir für Peeters allesamt Zombies?

Peeters gelingt es mit einem charmanten Minimalismus allerhand Fakten zu vermitteln. Dennoch bleibt sein Interesse am Phänomen „Erscheinungen“ ungeklärt. Religiöser Wahn, paranormale Phänomene, Befragung des positivistischen westlichen Konsens haben hier keinen Ort. Und so kommt er über das anekdotenhafte Vorzeigen dieser und jener Geschichte nicht hinaus. Er staubt das Thema eher ein als es zu „entstauben“, wie es das Programmheft verspricht, wobei nicht klar ist, warum das Thema überhaupt verstaubt sein soll. Außer man blickt eben nicht über seinen positivistischen Tellerrand hinaus.

Erscheinungen

Performance von Diederik Peeters (Brüssel)

Mit: Jonas Chéreau, Diederik Peeters

Premiere: 14. Juni 2019, Schauspiel Leipzig, Residenz in der Spinnerei

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