„Der Stellenwert von Kultur gerät gerade bedenklich aus dem Blick“

Das Kulturinterview, Folge 2: Winnie Karnofka, Intendantin am Theater der Jungen Welt, will aus der Not des digitalen Spielplans eine Tugend machen.

Winnie Karnofka arbeitet seit der Spielzeit 2013/14 am Theater der Jungen Welt (Foto: Tom Schulze).

Wie geht es nach der Verlängerung des Kultur-Lockdowns weiter mit Bühnen, Kinos, Ausstellungen, Lesungen und Konzerten? Mit welchen Ideen und Konzepten passen sich Leipzigs Kulturschaffende an die Corona-Maßnamen an? Und welche Kraft steckt noch in ihnen nach der monatelangen zweiten Durststrecke seit Anfang November? In unserer Reihe „Das Kulturinterview“ fragen wir Kulturschaffende in Leipzig, was sie zurzeit bewegt. Diesmal: Winnie Karnofka, Intendantin am Theater der Jungen Welt.


Leipzig-Almanach: Sachsen hat am 8. März die Corona-Maßnahmen gelockert, aber die Theater im Freistaat bleiben geschlossen. Wie geht es mit dem Theater der Jungen Welt weiter?

Winnie Karnofka: Angesichts einer beginnenden 3. Welle und auch der ganz praktischen Herausforderung einer Umsetzung von Publikumstestungen, gerade für unser junges Publikum, ist diese Möglichkeit der Öffnung momentan mit Bedacht anzugehen. Aktuell planen wir, voraussichtlich ab Mitte/Ende April in ersten Schritten wieder in Präsenzspielbetrieb zu kommen. Vorerst werden wir dies mit Angeboten im Abendbereich angehen. Wie Schulen oder auch Kindergärten zu uns kommen sollen, wie wir konkret unsere theaterpädagogische Arbeit fortführen, steht gerade in den Sternen. Da haben wir momentan sehr viele Fragen, die nicht eindeutig bis gar nicht über die jetzige Verordnung geklärt sind. Da hoffen wir, dass die nächsten Wochen mehr Klarheit bringen. Um für die ganze Breite unseres Publikums dennoch kontinuierlich da zu sein, wird unser digitaler Spielplan fortgesetzt, mit neuen Stoffen wie „Und morgen streiken die Wale“ und mit Blick auf Mai/Juni/Juli arbeiten wir an Open-Air-Angeboten.

Was war für Sie und Ihr Team im zweiten Lockdown überhaupt möglich? Auf Ihrer Website bieten Sie inzwischen Vorstellungen im digitalen Stream an.

Der Gedanke ist nicht neu und fern von jeglicher Durchhalteparole: In jeder Krise steckt eine Chance. Als wir kein Theater in Präsenz mehr machen durften, haben wir uns auf den Ausbau unserer Digitaltechnik und den Aufbau eines Onlinespielplans fokussiert. Natürlich um überhaupt mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben, aber auch um uns für eben dieses Publikum, das ja zum größten Teil aus Digital Natives besteht, zukünftig besser digital-künstlerisch aufzustellen und auszuprobieren. Das war schon eine Herausforderung zwischen Homeoffice und Kurzarbeit, aber unser Team und alle Gäste sind das in den letzten Monaten mit viel Neugier, Entdeckungslust und kreativer Herausforderung angegangen. Dass dabei gleich 2 digital-interaktive Produktionen entstanden sind – das Figurentheaterstück „Frederick“ für Kinder ab 3 Jahren und das digital-interaktive Umwelt-Adventure „Und morgen streiken die Wale“ für Jugendliche ab 12 Jahren – ist ein wunderbarer Erfolg. Und mit „Gulliver“ ist noch ein weiteres webbasiertes Theaterprojekt am Start, das unser jugendliches Publikum über einen Discord-Channel sogar mitentwickeln kann. Außerdem konnten wir mit den Telefongeschichten „TDJW sagt Gute Nacht“ auch Menschen, vor allem Senior*innen, erreichen, die keinen Zugang zu unseren digitalen Angeboten hatten.

Das Theater der Jungen Welt in Vor-Corona-Zeiten: Damals war noch Draußensitzen ohne Abstand erlaubt (Foto: Sebastian Schimmel).

Wie stark hat Ihr Haus seit Anfang November 2020 (Beginn des 2. Lockdowns) gelitten, und welche Spuren werden bleiben?

Die Einnahmeausfälle gerade in der Weihnachtszeit haben natürlich Spuren hinterlassen. Da rettet uns aber gerade die Kurzarbeit. Auch wenn uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, mit einer angehobenen Zuweisung durch die Stadt endlich aus der strukturellen Unterfinanzierung zu kommen, stehen wir momentan im Vergleich zu vielen anderen Kulturschaffenden und Theaterhäusern zum Glück recht stabil da.

Gab es für Sie bisher staatliche Hilfen und, falls ja, was taugen sie?

Wir haben zum einen eine Projektförderung für unser „Gulliver“-Projekt aus dem „dive.in“-Programm für digitale Interaktionen der Kulturstiftung des Bundes bekommen. Darüber können wir uns dieses Jahr unter anderem die Stelle eines Digital-Dramaturgen leisten. Dann haben wir unsere technische Infrastruktur mithilfe einer Förderung aus dem Fonds „Neustart.Kultur“ der Bundesregierung ausgebaut und modernisiert. Und nicht zu vergessen natürlich die Möglichkeit Kurzarbeit zu beantragen.

Was muss aus Ihrer Perspektive politisch geschehen, damit Ihr Haus keinen irreparablen Schaden nimmt?

Der Stellenwert von Kultur und kultureller Bildung, gerade auch für die junge Generation, gerät gerade bedenklich aus dem Blick. Wir haben gesehen, wie schnell Kulturangebote für Kinder und Jugendliche im Lockdown unmöglich werden und welche Anstrengungen nötig sind, die Verbindung zu unserem Publikum zu halten und Lücken wieder zu schließen. Zudem stehen wir alle erst am Anfang einer kritischen Phase, denn die Mammutaufgabe, die Corona uns als Gesellschaft stellen wird, kommt erst noch. Es braucht also weiterhin eine adäquate finanzielle Ausstattung, politischen Rückhalt und das Vertrauen der Politik in unsere Arbeit. Mit Sicherheit auch eine gemeinsam geführte Diskussion über die Position des Theaters innerhalb der jetzigen und zukünftigen Gesellschaft. Vielleicht auch, angesichts des „Brennglases Corona“, die vehementere Forderung der eigenen Reflektion in unseren Häusern und auch innerhalb unseres deutschen Theatersystems. Was es aber jetzt wirklich akut braucht, aus meiner Warte als Kinder- und Jugendtheatermacherin, sind Partner in Kommunen und Ländern, die die Belange für Kinder und Jugendliche erst mal ins obere Drittel der Agenda setzen.

Worauf hoffen Sie in diesem Jahr, und womit planen Sie?

Wir hoffen natürlich, dass schrittweise Theaterbesuche immer besser wieder möglich sein werden, mit praktikablen Tests im Frühjahr, Open-Air Theater im Sommer und mit einer möglichst großen Impfabdeckung im Herbst. Vor allem hoffen wir, dass spätestens im neuen Schuljahr ab September die Schulen und Kitas wieder die Möglichkeit haben, ins Theater zu kommen und schlussendlich auch kommen. Wie auch immer sich die Situation weiterentwickelt: Wir stellen uns auf jeden Fall weiterhin flexibel auf, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein – digital, hybrid, mobil, live.

Die Fragen stellte Verena Lutter.

Theater der Jungen Welt: www.tdjw.de

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